Die Laternen in der Hauptstadt waren bereits untergegangen, denn morgens wurden sie in den Boden gefahren um Platz zu sparen.
Ich
hatte mir das Ganze von meinem Zimmer aus angeschaut, die Nase an die
Fensterscheibe gedrückt. Wo mein Mund gewesen war, war die Scheibe beschlagen
und meine Finger hatten Abdrücke auf dem Glas hinterlassen. Für die Bewohner
von Schreibstadt mochte das alles ein allmorgendliches Geschehen sein, doch ich
war erst gestern bei meiner Großmutter eingezogen und alles war neu für mich.
„Guten
Morgen, Mia!“
Meine
Oma erschien in der Tür. Eine kleine Dame mit lockigen weißen Haaren, auf denen
ein lila Samthut thronte, der in starkem Kontrast zu ihren leuchtend blauen
Augen stand. Selbst jetzt, wo sie noch ihr geblümtes Nachthemd trug, war das
zerbeulte Ding zu sehen.
„Guten
Morgen, Oma.“
„Schon
so früh wach?“ Sie musterte meinen Schlafanzug, der sorgsam gefaltet auf dem
gemachten Bett lag und dann die Klamotten, die ich bereits angezogen hatte.
„Hast du überhaupt geschlafen?“
„Kaum“,
gab ich zu. „Was alles an meinem Fenster vorbeigelaufen ist… unglaublich!“
Die
Wohnung meiner Oma war in einem der alten Fachwerkhäuser der Stadt untergebracht.
Sie hatte die oberste Etage und den Dachboden, der wiederum für mich
hergerichtet worden war. Obwohl „für mich“ nicht ganz korrekt war. Immerhin
hatte sie alles in ihrer
Lieblingsfarbe gestrichen, nicht in meiner. Das erste Mal als ich das Zimmer
betreten hatte, war mir vor lila ganz schwummrig geworden. Lila geblümte
Vorhänge, lila gemusterte Bettwäsche, sogar eine Wand war zwischen den
Fachwerkbalken in einem fliederfarbenen Ton gestrichen worden.
Mittlerweile
hatte ich das Ganze durch ein paar Poster mit blauem Hintergrund und ein paar
der schwarzen Stofffledermäuse, die mir meine beste Freundin gehäkelt hatte,
soweit entschärft, dass ich darin schlafen konnte ohne Albträume von tanzenden
lila Elefanten zu bekommen.
Rein
theoretisch zumindest, denn durch das Fenster zwischen den Dachschrägen konnte
man prima auf die Straße hinunterschauen ohne gesehen zu werden. Die Reihe von
Straßenlaternen war inzwischen im Boden versunken, doch die Bäume, welche die
Straße säumten, waren nicht minder interessant. Selbst ohne Wind – ich hatte
extra meinen Kopf aus dem Fenster gesteckt, um das zu überprüfen; kein Lüftchen
wehte – bewegten sich die Blätter als würden kleine Wellen durch den Baum
gehen. Das allein war kein Grund für Albtraumpotential, doch dafür sorgten die
Passanten.
Zuerst
hatte ich wirklich versucht zu schlafen, doch nachdem ein Heulen vor dem
Fenster erklungen war, war ich schneller aus dem Bett gewesen als meine
Schwester wenn man sie zum Kuchenteigreste schlecken rief. Ursache des
Geräusches war ein Mann gewesen, der einen Wolfskopf hatte. Wenn mich nicht
alles getäuscht hatte, war unter seinem langen Mantel auch ein Schwanz zu
erahnen gewesen. Danach war an Schlaf nicht mehr zu denken gewesen.
„Da
war ein Mann, der nur auf Stelzen gelaufen ist! Und eine Frau, die eine Tasche
hinter sich herlaufen hatte, die ein Krokodil war. Und ich meine keine
Krokodillederhandtasche oder die Form, sondern ein echtes! Und dann hat sie ihre Geldbörse rausgenommen…“
Das
war der Punkt gewesen an dem ich beinah die Treppe hinunter gesprintet war,
denn das Vieh hatte ausgesehen als würde es der Frau den Arm abbeißen.
„Ach,
das Krokodil ist noch harmlos“, meinte meine Oma. „Du hättest mal den Blauwal
sehen sollen, der… ach Gottchen! Es ist schon fast acht Uhr. Hast du schon
geduscht?“
„Ich
wollte dich nicht aufwecken, also…“
„Ach
Papperlapapp. Mich würde höchstens eine Abrissbirne wecken, die eine Wand
meines Schlafzimmers einreißt. Was übrigens mal passiert ist. Also beeil dich;
ich wollte dir heute die Stadt zeigen.“ Nach einem Blick auf ihr weißes
Nachthemd mit den riesigen orangenen Blumen und den Rüschen am Saum musste sie
allerdings grinsen. „Ich mache mich wohl auch besser fertig.“
„Es
laufen bestimmt seltsamere Gestalten in der Stadt rum...“
Sogar
seltsamer als die Frau mit dem Krokodil, wie ich in der Nacht festgestellt
hatte. Sogar seltsamer als die einfahrbaren Straßenlaternen. Und ich konnte es
kaum erwarten all das Seltsame zu sehen.
Die
nächste Seltsamkeit erwartete mich als ich die Dusche betrat. Ein kleiner Igel
streckte mir vom Regal mit den Duschsachen schnuppernd die Nase entgegen.
„Äh…
Oma?“
„Ja,
Schatz?“
„Da
ist ein Igel in der Dusche.“
Der
Kleine blinzelte mich treuherzig an und begann an meinem Shampoo zu schnuppern,
das ich gestern neben die Sachen meiner Oma gestellt hatte. Seine Schnauze war
von hellbraunem Fell bedeckt und die Stacheln standen in alle Richtungen ab.
Aber… hatten die eine andere Farbe? Verwirrt rieb ich mir die Augen.
„Das
ist ein Duschigel!“, rief sie mir zu
„Ein
was?“
„Den
habe ich aus dem Wald gerettet. Da gehört er ja nun wirklich nicht hin. Er
bleibt bei mir bis ich ihn in der Nähe eines Wasserfalls aussetzen kann. Lass
dich nicht von ihm stören. Ach, und streichel ihn ein bisschen, ja?“
Streicheln?
Einen Igel? Das Ding hatte Stacheln, falls meiner Oma das noch nicht
aufgefallen war. Trotzdem hob ich zögernd die Hand und hielt sie einen
fingerbreit von den Stacheln des Igels entfernt, die tatsächlich weniger braun
waren, als eine Mischung aus Blau- und Lilatönen hatten. Letzteres erklärte
auch warum meine Oma ihn nicht hatte dalassen können.
Ich
zuckte kurz zurück als der Igel sich an meine Hand schmiegte, doch zu meiner
Überraschung waren die Stacheln so weich wie Gummi mit Fellüberzug. Wie sich
der verteidigen wollte, würde ich gerne sehen. Auch wenn ich zugeben musste,
dass er wirklich niedlich war, was vielleicht Verteidigung genug war.
Nach
dem Duschen (und nachdem ich den Duschigel alle paar Minuten mit
Streicheleinheiten verwöhnt hatte – ehrlich, warum musste der auch so süß
gucken?) stand ich wieder in meinem sehr lilanen Zimmer. Die Sachen, die ich
angezogen hatte als mir klar geworden war, dass ich kein Auge mehr zubekommen
würde, lagen auf dem einen Stuhl. Auf dem anderen lag ein etwas…
interessanteres Outfit.
Das erste
war eine normale, ausgewaschene Jeans sowie ein roter Kapuzenpullover. Das
zweite war bei Weitem ausgefallener und als meine Oma es mir gestern vorgelegt
hatte, waren mir zuerst fast die Augen aus dem Kopf gefallen. Halloween war
noch einen Monat hin, Karneval noch länger. Deshalb hatte ich ihr nicht glauben
können, dass ich in den Klamotten nicht einmal auffallen würde. Meinen
Beobachtungen heute Nacht nach zu urteilen, hatte sie jedoch Recht.
„Was
soll’s. Kennen tut mich hier eh keiner.“
Dann
ploterte ich die Treppe hinunter um zu frühstücken.
„Moment
mal. Ich ploterte?“ Verwirrt stand
ich vor meiner Oma, die, jetzt nicht mehr in ihrem Nachthemd, sondern in weiter
lila Kleidung, den Frühstückstisch deckte.
„Das
ist doch ein gutes Zeichen. Auf der Treppe sind mir die besten Ideen für meine
Geschichte gekommen. Was hast du geplottet?“
Immer
noch die Stirn runzelnd ließ ich mich auf einen der Stühle fallen und begann
gedankenverloren Nutella mit einer Gabel auf ein Stück Toast zu streichen. Das
Frühstück heute fiel etwas kürzer aus, da meine Oma mit mir etwas essen gehen
wollte. Aber ohne einen Nutellatoast am Morgen war mit mir nicht viel
anzufangen. Meine Oma bestand auf ihrem Kaffee. Ansonsten war da nur die
(natürlich) lila karierte Tischdecke.
„Ich
will einen Fantasy-Roman schreiben und gerade hatte ich eine Idee wie das Ganze
losgeht.“ Als sie mich erwartungsvoll ansah setzte ich hinzu „aber das ist noch
wirklich unausgereift, also…“
„Kein
Problem.“ Meine Oma nahm mir die Gabel aus der Hand und ersetzte sie durch ein
Messer. „Damit funktioniert es doch wesentlich besser, meinst du nicht?“
Der
Tag fing ja super an. Naja… irgendwie schon. Seltsam, aber super. Und wenn
nicht, konnte ich immer noch den Duschigel streicheln gehen. Ich hatte das
Gefühl das würde meine Laune sofort heben.
Ich
stellte meine Tasse mit Milch etwas zu hart ab, woraufhin der Tisch zusammenzuckte.
Das wiederum führte dazu, dass sich der Inhalt besagter Tasse über das
Möbelstück ergoss und das beige, gemaserte Holz unter einem weißen Fluss
verschwand.
„Vorsicht!
Mein Tischekich!“
„Dein
was?“
Gestern
Abend war ich nach der langen Zufahrt hierher zu müde gewesen um darauf zu
achten wo wir Abendbrot aßen. Selbst jetzt sah der Tisch aus wie ein normaler
Küchentisch. Zumindest bis meine Oma begann die Milch aufzuwischen und der
Tisch anfing zu kichern.
„…Tischekich?“
„Den
hat mir dein Großvater geschenkt. Er ist nie der große Schreiber gewesen, aber
ich rechne es ihm hoch an, dass er es zumindest einen NaNo versucht hat. Da war
er hier und hat mir den Tischekich gekauft.“
Mein
Opa war vor einigen Jahren gestorben und vor allem das Schreiben hatte meiner
Oma sehr geholfen. Allerdings hatte ich nie gewusst, dass er es auch mal
versucht hatte. Bestimmt nur ihr zuliebe. So ähnlich wie ich.
Meine
Oma schrieb schon seit geraumer Zeit und vor einigen Jahren hatte sie etwas
entdeckt, das sich NaNoWriMo nannte. Viele Leute fanden sich zusammen, um in
einem Monat jeweils 50.000 Wörter zu schreiben und sich dabei, vor allem über
das Internet, gegenseitig zu unterstützen. So wie meine Oma es beschrieb, half
es wirklich, dass so viele einem beistehen konnten, wenn man eine
Schreibblockade hatte. Die virtuellen Tritte in den Hintern und die
motivierenden Worte schienen zumindest ihr immer zu helfen.
Schon
als ich ganz klein gewesen war und meine Eltern mich bei meinen Großeltern
abgesetzt hatten damit sie auf mich aufpassten, hatte es mir am meisten Spaß
gemacht mir von meiner Oma Geschichten erzählen zu lassen, oder selbst welche
zu erfinden. Seit zwei Jahren versuchte ich jetzt schon eine längere Geschichte
aufs Papier zu bekommen, aber nach ein paar Kapiteln war immer die Luft raus.
Meine Oma meinte, dass NaNoWriMo das ändern könnte. So ganz glauben konnte ich
das allerdings noch nicht.
„Oma…
meinst du wirklich, dass ich das mit dem NaNoWriMo schaffe?“
Sie
sah mich mit einem ihrer diese-Unterhaltung-hatten-wir-doch-schon Blicke an,
begann dann aber zu lächeln.
„Glaub
mir. Als ich das erste Mal mitgemacht habe, hätte ich auch nie geglaubt, dass
es funktioniert.“
„Aber
du hattest wenigstens schon mal ein Buch fertig geschrieben! Alles was ich
hinbekomme sind erste Kapitel. Und ich habe nicht mal einen vernünftigen Plot.“
Ich
steckte mir das letzte Stück Toast auf einmal in den Mund um nichts mehr sagen
zu müssen. Der Tischekich hatte mittlerweile aufgehört zu kichern, auch wenn
die Tischdecke immer noch verrutscht war. Während ich noch mit Kauen
beschäftigt war, tastete ich mit einer Hand nach der Haarspange, die in meinen
Haaren steckte. Sie war das einzige, das den Outfittausch überlebt hatte. Ich
zupfte ein wenig am silbernen Schmetterling herum bis ich ihn auf und ab wippen
spürte. Das beruhigte mich ein wenig. Nicht alles in dieser Welt war anders. Es
gab auch Sachen, die gleich geblieben waren.
„Ploter
noch ein paar Mal die Treppe runter und dann wird das schon“, versuchte meine
Oma mich aufzumuntern. Sie strich die Tischdecke glatt und begann den
Tischekich abzuräumen. „Ich weiß auch schon wie ich dich aufmuntern kann. Wir
gehen ins Café der Planlosen Schreiber.“
Das
hörte sich nicht gerade nach einem Ort an, wo einem die besten Ideen kamen.
Mein Gesichtsausdruck musste Bände gesprochen haben, denn meine Oma klopfte mir
aufmunternd auf die Schulter.
Mein
Gesichtsausdruck musste Bände gesprochen haben, denn meine Oma klopfte mir
aufmunternd auf die Schulter.
„Keine
Sorge. Ach ja, schöne Kleidung übrigens.“
Das
brachte mich dann doch wieder zum Grinsen. „Na dann“, seufzte ich. „Auf in dein
komisches Café.“
Der Duschigel *-*
AntwortenLöschenUnd die Oma ist ja die Allergeilste. Ich weiß nicht, was Mia hat, Lila ist eine tolle Farbe...
An den Tischekich erinnere ich mich zwar, aber ich weiß beim besten Willen nicht mehr, was das eigentlich mal war. Ist aber auch egal, das Teil ist süß, ich will auch so einen :D
Geht ja super los, ich bin begeistert!
Die wird noch besser. Die Oma ist mein absoluter Lieblingscharakter geworden. Die verdrischt nachher sogar Rauchninjas mit ihrem lila geblümten Regenschirm! xD
AntwortenLöschenDas war tatsächlich mal ein Küchentisch.
Ahahahahaha, die untergehenden Laternen! *love* Herrlich. Und die Oma ist super! An den Duschigel hab ich auch noch warme Erinnerungen, schön, ihn hier wieder zu sehen. *freu*
AntwortenLöschenIch bin schon ganz gespannt auf das nächste Kapitel und darauf, was genau denn das Outfit der armen Mia ist. Einen leisen Verdacht hab ich ja schon...
Na, das fängt doch super an!^^
AntwortenLöschenDer Duschigel ist ja voll süß - ich will auch einen. xD
Ich habe vor Jahren mal einen echten Igel gestreichelt. Das hatte ich fast vergessen. Erst beim Lesen des ersten Kapitels musste ich wieder daran denken. :)
Ich finde die Oma total cool. Und alles ist lila. <3
Auf jeden Fall ein sehr cooles und vielversprechendes erstes Kapitel. :)
Ich hab zuerst gar nicht bemerkt das es Duschigel heißt XD
AntwortenLöschenIch bin auf jeden Fall beeindruckt das du einen so guten Schreibstil während des Schreibmarathons an den Tag gelegt hast ^^ Ich hab das glaub ich nicht hinbekommen <.<
Geniales erstes Kapitel! :D Die Oma ist ja mal richtig cool drauf xD Und den Duschigel (sollte das ursprünglich mal Duschgel heißen?) stell ich mir echt niedlich vor :)
AntwortenLöschenDanke. :)
LöschenJa, ich denke der Igel war ursprünglich mal ein Duschgel.
Habe jetzt auch angefangen, zu lesen.
AntwortenLöschenLachen musste ich bereits und ich glaube, die Geschichte werde ich mögen. Die Fehler sind allerliebst!
Es freut mich, dass es dir bisher gefällt. :)
Löschen