Mittwoch, 12. November 2014

12. Kapitel


Wir kamen gut voran und waren am frühen Nachmittag schon fast an Romantika vorbei, der größten Stadt des Liebes-Gebietes. Hier und da am Wegesrand brannten ein paar Herzen, doch ansonsten gab es keine großen Vorkommnisse. Es war eher als würde ich eine Tour durch das NaNo-Land bekommen und Sehenswürdigkeiten wie die Beispielswiese und das Labyrinth der Schachtelsätze zu sehen bekommen, das in der Nähe der Stadt der Detektive lag. Rein dürfte ich leider nicht, da wir sonst zu viel Zeit verloren hätten.
Was seltsam war, war dass wir nach gut einer Stunde erneut am Labyrinth der Schachtelsätze vorbeikamen.
„Oma…?“
„Was ist, Mia?“
„Du weißt doch noch wie ich vor etwa einer Stunde gesagt habe, dass ich gerne ins Labyrinth gehen würde.“
„Ja, aber das war vor einer Stunde. Wir drehen bestimmt nicht wieder um; das dauert zu lange.“ Sie sah mich tadelnd an und schritt weiter.
„Aber da ist der Eingang. Schon wieder. Fällt sonst niemandem auf, dass hier was nicht stimmen kann?“ Ich war stehen geblieben und deutete auf den Eingang des Labyrinths, an dem wir tatsächlich eine Stunde vorher schon einmal vorbeigekommen waren.
„Wie kann das sein?“ Phoenix war ebenfalls stehen geblieben und starrte entgeistert vom Eingang auf die Uhr an ihrem Handgelenk und wieder zurück.
„Sind wir im Kreis gegangen?“ Ich zog die faltbare Katze aus dem Rucksack, da die anderen mir die Karte überlassen hatten. Anscheinend nahmen sie an, dass ich die war, die sich am ehesten verlaufen würde. Soviel dazu.
Ich kontrollierte den Weg, den wir gegangen waren, doch ich konnte keine Fehler erkennen. Wenn wir nicht irgendwo unterwegs den gesunden Menschenversand benutzt hatten – und glaubt mir, daran würde ich mich erinnern – machte es absolut keinen Sinn, dass wir wieder an derselben Stelle standen, an der wir vorher losgegangen waren.
„Und jetzt?“
„Gehen wir denselben Weg nochmal“, stöhnte Blue. „Was bleibt uns anderes übrig?“
So ganz richtig kam mir die Entscheidung nicht vor, aber er hatte Recht. Was blieb und anderes übrig? So zogen wir unsere Robben enger um uns, da es gegen Nachmittag etwas kühler geworden war, und gingen weiter die Straße entlang.
Bis wir circa eine Stunde später wieder vorm Eingang des Labyrinths standen.
„Okay, jetzt ist wirklich was faul.“ Ich stellte Kaffee ein Schälchen Wasser hin und hockte mich daneben, den Blick auf den Eingang des Labyrinths gerichtet. „Mein ihr wir müssen vielleicht da durch damit wir weiterkommen?“
„Von so etwas habe ich noch nie gehört“, meinte Phoenix stirnrunzelnd. „Was wenn es trotzdem weitergeht und wir dann auch noch in einem Labyrinth feststecken? Nein, lassen wir das lieber.“
„Ein Uhrwurm!“, schrie plötzlich meine Oma.
„Was? Es ist gerade nicht hilfreich, dass du einen Ohrwurm hast. Sing ihn leise wenn du nicht anders kannst.“ Mittlerweile war ich etwas gereizt. Denselben Weg zweimal zu gehen ohne von der Stelle zu kommen half nicht gerade um meine Laune zu verbessern.
„Nein! Ein Uhrwurm! Ein Uhrwurm! Deshalb kommen wir nicht voran! Uhrwürmer fressen die Zeit weg. Deshalb verlieren wir Zeit, kommen aber nicht von der Stelle! Der muss sich in einer unserer Uhren festgesetzt haben.“
Von so einem Ding hatte ich noch nie gehört. Andererseits hatte ich von Vielem im NaNo-Land noch nie gehört. Blue sah jedoch nicht aus als wüsste er besser worum es ging.
„Von den Viechern habe ich noch nie gehört“, bestätigte er meine Vermutung.
„Alle Uhren her!“, befahl meine Oma.
Phoenix nickte. Mmh, sie schien zu wissen was ein Uhrwurm war. Es war erstaunlich was sich alles an Zeitmessern auf einem Haufen angesammelt hatte.
Jeder von uns besaß ein Handy, das natürlich eine eingebaute Uhr hatte. Phoenix, meine Oma und Blue besaßen außerdem noch Armbanduhren  und ich hatte vergessen meinen Wecker aus dem Rucksack zu packen und in der Drachenschenke zu lassen. Ich ließ meine Hand darüber gleiten, um nach der Uhrzeit zu suchen. Konnte man gestohlene Zeit wiederfinden?
„Dann wollen wir doch mal sehen.“ Meine Oma zog ihre Robbe aus und untersuchte die technischen Geräte.
„Was genau machst du?“
„Was Uhrwürmer noch mehr lieben als alles andere ist Lebenszeit. Also werde ich ihm ein Stück von meiner anbieten“, erklärte sie.
„Oh nein. Vergiss es.“ Ich zog ihre Hand vom Uhrenstapel. „Was wenn er die frisst? Von wieviel Lebenszeit reden wir hier überhaupt?“
„Oh, ein paar Tage müssen es schon sein. Sonst ist das Angebot ja nicht schmackhaft.“ Sie sah, dass ich den Mund öffnete um zu protestieren. „Für einen Uhrwurm ist das nichts! Wenn man nicht weiß mit was man es zu tun hat, irrt man jahrelang, für den Rest seines Lebens, immer auf demselben Weg entlang und weiß nicht wie man entkommt. Da kann man doch ein paar Jahre entbehren, nicht wahr? Allerdings muss sich auch der Uhrwurm jede dieser Stunden hart erarbeiten. Da sind drei Tage auf einmal meistens verlockend genug.“
„Dann nimm meine!“, schlug ich vor. „Ich habe bestimmt noch mehr davon als du!“
„Oder meine“, wandte nun auch Phoenix ein. „Ich habe bestimmt auch ein paar übrig.“
„Ganz genau. Und deshalb sollten sie dir auch bleiben. Ich habe schon so viel meiner Lebenszeit genutzt; ich kann auch mit drei Tagen weniger auskommen.“
Sie zwinkerte mir zu und ich biss mir auf die Lippe. Was, wenn sie eigentlich in drei Tagen sterben würde? Bei dem Gedanken zog sich mein Bauch schmerzhaft zusammen. Würde sie dann einfach tot umfallen? Und selbst wenn nicht, ich würde immer daran denken, dass sie eigentlich drei Tage länger zur Verfügung gehabt hätte, wenn dieser verdammte Wurm nicht gewesen wäre.
Meine Oma legte sich einen Finger auf die Innenseite des Handgelenks. Dann wartete sie einen Moment und zog dann einen silbrig glänzenden Faden hervor. Wo hatte sie das nur gelernt? Und das war Zeit? So greifbar hatte ich sie mir nie vorgestellt.
Alle Uhren waren nebeneinander ausgelegt und meine Oma führte vorsichtig den silbernen Faden über jede davon. Zuerst passierte gar nichts. Dann…
„Komm“, lockte sie den Wurm, der sich aus Phoenix‘ Armbanduhr schlängelte.
Das Tier war unscheinbar, silbrig grau mit leichten Streifen. Aber wenn man nicht genau hinsah, sah es beinah so aus wie die Lebenszeit, die meine Oma ihm gerade anbot. Er kroch aus der Uhr als wäre das Metall komplett durchlässig; es war keine Stelle zu sehen an der er seinen Weg hinein oder herausgefunden hatte.
„Komm…“
Der Wurm reckte das, was vermutlich sein Vorderende war, der Lebenszeit entgegen und dann, mit einer schnellen Bewegung, die ich dem Tier nicht zugetraut hätte, verschlang es den Faden.
Im selben Moment ließ meine Oma ihre Hand zuschnappen, die eben noch ihre Lebenszeit gehalten hatte.  Der Wurm wand sich und versuchte zu entkommen, doch vergeblich.
„Und was jetzt?“
Ich betrachtete das winzige Wesen mit beträchtlichem Abscheu. Dass so etwas Kleines so viel Unheil anrichten konnte. Wenn ich mir vorstellte, dass Leute wegen so einem Ding ihr ganzes Leben immer nur im Kreis liefen während ihnen das Ding da die ganze Lebenszeit abnahm…
„Es ist nur natürlich, dass er im Labyrinth unterwegs war. Es ist besonders leicht Leute dort zu verwirren. Wenn alles gleich aussieht, weiß man nicht unbedingt ob man im Kreis läuft. Und dann noch auf einen Uhrwurm zu kommen… fast unmöglich.“
Sie betrachtete den Uhrwurm in ihrer Hand als wäre er ein exotisches Lebewesen, das ausgestopft in einem Museum stand.
„Was machst du jetzt mit dem Ding? Wie tötet man einen Uhrwurm?“, fragte ich.
„Ganz einfach. Man nimmt ihm seine eigene Lebenszeit ab.“
„Kannst du sie dann nicht einfach aufnehmen? Als Ersatz für deine gestohlenen Jahre?“
„So funktioniert das leider nicht“, lachte sie. „Nur Uhrwürmer können Lebenszeit stehlen. Wenn Menschen es könnten, denkst du nicht es hätte schon einer getan?“
Da hatte sie auch wieder Recht.
„Töten werde ich ihn aber noch nicht. Man weiß nie wann so ein Ding praktisch sein kann. Wenn man jemanden aus dem Weg haben will, ist so ein Uhrwurm genau das Richtige.“
Sie griff mit einer Hand nach einer ihrer goldenen Ketten und öffnete das Medaillon. Dann setzte sie den Wurm vorsichtig hinein und ließ den Anhänger zuschnappen bevor er den Kopf wieder herausstrecken konnte.
„Kann der nicht einfach da rauskommen wie aus der Uhr?“ Ich besah mir misstrauisch den Anhänger.
„Nein. Es hat seine Gründe, dass die Dinger Uhrwürmer heißen.“ Und damit verschwand der Wurm im Medaillon als wäre nie etwas gewesen. Außer dass es meine Oma gerade drei Tage ihrer Lebenszeit gekostet hatte und alle anderen zwei Stunden. Mistvieh.

3 Kommentare:

  1. Diese Uhrwürmer klingen gefährlich... Wollen wir mal hoffen, dass die in deinem Roman bleiben :D

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  2. Interessante Viecher diese Uhrwürmer... bin gespannt wozu der noch gut sein wird.

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  3. So ein blödes Viech :O
    Ich hoffe, es gibt später einen GUTEN Nutzen für das Wesen. Die arme Oma, die drei Tage opfern musste. Aber jetzt erfahren wir wohl nie, was in diesem Labyrinth ist.

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