Ein
Autor war bei Rot über die Kreuzung gefahren, doch glücklicherweise hatte es
keiner außer mir mitbekommen. Ich wusste nicht was im NaNo-Land die Strafe
dafür war. Vielleicht wollte ich es auch nicht wissen.
Meine
Oma und ich waren lieber zu Fuß gegangen. Das erste, was ich draußen getan
hatte, war die Platten zu bestaunen, in denen die Laternen verschwunden waren.
Dann hatte ich einen kleinen Zweig von einem der Bäume abgebrochen. Sofort
hatte das Blatt aufgehört sich zu bewegen.
Als
wir in eine belebtere Straße gekommen waren, hatte ich zuerst befürchtet, dass
mich alle anstarren würden. Allerdings war es eher anders herum gewesen. Ich
hatte alle angestarrt, denn hier waren nicht weniger seltsame Gestalten
unterwegs als vor meinem Fenster.
Mit
meinem tunikaähnlichen blauen Shirt, das meine Oma als „plakative Pluse“
bezeichnet hatte, der schwarzen Hose aus Stoff, den hohen Stiefeln, an denen
mehrere Blumsen hingen – selbstgehäkelte, schwarze Blumen, die bei jedem
Schritt hin und her schwangen – und dem mitternachtsblauen Reisemantel, kam ich
mir auf einmal nicht ganz so seltsam vor. So ein Outfit hätte ich sonst nur
angezogen, wenn ich zu einer Kostümfeier eingeladen war.
Außerdem
hatte sich meine Oma, zumindest was meine Kleidung betraf, an meine
Lieblingsfarben gehalten. Wenn wir beide von Kopf bis Fuß in lila herumgelaufen
wären, hätte das vermutlich doch Aufmerksamkeit erregt. Der riesige Regenschirm
mit den lila Blumen war schon mehr als genug.
Sobald
wir auf die Hauptstraße kamen, wurde die Menschenmenge dichter. „Wo kommen die
denn alle her?“
„Es
ist Anfang Oktober. Da erinnern sich die meisten Leute daran, dass NaNoWriMo
bald ansteht.“
„Schon
im Oktober?“ Ich sah einer Mutter mit einem Kind an jeder Hand nach, denen
glitzernde Flügel aus dem Rücken wuchsen.
„Natürlich!
Die meisten wollen ihren Roman vorplanen. Man kann auch seine Freunde
wiedertreffen, die man ein Jahr lang nicht gesehen hat, sich darüber
austauschen was aus den Geschichten vom letzten Jahr geworden ist…“, erklärte
sie und zog mich zur Seite, da ich sonst gegen einen Mann gelaufen wäre, der so
hoch wie breit war und einen dicken Fellmantel trug. Oder war das seine Haut?
„Wurden
denn schon Romane veröffentlicht, die bei NaNo geschrieben wurden?“
Zu
viel Hoffnung wollte ich mir nicht machen. Erstmal musste ich den November an
sich überleben. Aber Fragen schadete ja nicht.
„Oh,
ein paar gibt es immer. Einige wurden von Verlagen angenommen, wieder andere
veröffentlichen ihre Geschichten lieber selbst.“
„Waaaaah!“
Ich
blieb abrupt stehen, denn fast wäre ich gegen ein Mottorad gelaufen. Das Ding
stand einfach mitten auf dem Bürgersteig!
„Alles
in Ordnung, Mia?“
„Warum
hat das Ding überall Hasen?“, fragte ich leicht entgeistert.
Tatsächlich
war das Motto des Mottorads klar. Der Sitz war mit weißem Kunstfell überzogen
und auf die Seiten waren in rosa kleine Kaninchen gemalt. Sogar am Lenker
baumelten zwei Kuscheltiere, die – wie nicht anders zu erwarten –Kaninchen
waren.
„Plotbunnys.“
Meine Oma stupste einen der Kuschelkaninchen an. „So nennen wir die Ideen, die
dich einfach nicht in Ruhe lassen wollen. Das kennst du bestimmt auch. Die, die
schreib mich jetzt! Schreib mich zuerst! rufen
und dabei so niedlich schauen, dass du nicht nein sagen willst. Und weil die
sich vermehren wie die Karnickel…“
„Plotbunnys“,
seufzte ich.
Wie
sollte ich diese ganzen Begriffe nur im Kopf behalten? Duschigel, Plotbunnys…
was kam als nächstes? Auch „NaNoWriMo“ war nicht das einfachste Wort. Wie
sprach man das nochmal aus?
„Wir
sind da“, unterbrach meine Oma meinen Gedankenfluss.
Das
„da“ stellte sich als kleines Café heraus. Vor der Tür standen einige Stühle,
bei denen die orangene Farbe an vielen Stellen bereits abgeblättert war. Eine Markise,
ebenfalls in orange, war gerade eingezogen. Da das Wetter schon sehr herbstlich
war, konnte ich den Besitzern das nicht verübeln. Vereinzelt saßen Menschen da,
oft mit aufgeklappten Laptops vor sich. Die meisten schlürften an einem Kaffee.
Einer hatte bereits sechs leere Tassen vor sich und arbeitete an seiner
siebten. Dass er nicht mehr still sitzen konnte und mit den Füßen einen
seltsamen Takt aufs Pflaster tanzte, war kein Wunder.
„Und
das soll mir helfen?“
„Allerdings.“
Meine
Oma zog mich ins Café hinein. Als sie die Glastür zur Seite schob, erhaschte
ich gerade noch so einen Blick auf ein Plakat, das dort klebte. Es warnte vor
jemandem namens „Verröter“.
„Was
ist ein Verröter?“
„Der?
Irgendein Verrückter, der nachts heimlich Gegenstände rot färbt. Die Pilzizei
versucht schon seit einem Monat ihn zu fassen, aber bisher hatten sie keinen
Erfolg.“ Ich meinte sie noch murmeln zu hören „wenn es wenigstens lila wäre“,
doch sie hatte mich in einen der klapprigen Stühle gedrückt und mir eine Karte
in die Hand gegeben bevor ich fragen konnte was genau eine Pilzizei war.
„Ich
empfehle die Pancakes. Aber dieses Mal schneide besser mit dem Messer, nicht
mit der Gabel.“
„Haha“,
grummelte ich.
Meine
Oma winkte einen Kellner heran, der aussah als würde er einen Kaffee dringender
benötigen als der Mann, dessen Füße nun zu Tapdance übergegangen waren.
Anscheinend hatte der arme Kerl die Nachtschicht gehabt, denn die Ringe unter
seinen Augen waren dunkler als der lila Samthut meiner Oma. Das, oder er war
ein Vampir. …er war doch kein Vampir, oder?
Misstrauisch
beobachtete ich ihn, während Oma die Bestellung aufgab und für mich gleich mitbestellte.
Wozu mir dann die Karte geben? Als der Kellner meinen Blick bemerkte, sah ich
schnell zur Seite und versuchte mich stattdessen auf ein Pärchen am
Nachbartisch zu konzentrieren.
„Du
wirkst wie die personifizierte Gutmüdigkeit“ neckte gerade die Frau.
Der
Mann gähnte und hielt sich eine Hand vor den Mund. „Absolute und komplette
Übermüditis, sagt der Doktor.“
„Wie
willst du dann NaNo schaffen?“ Die Frau sah nun wirklich besorgt aus.
„Der
Herr dort sollte wirklich weniger Kaffee trinken.“ Meine Oma hatte ebenfalls
den Mann entdeckt mit dessen Kaffeetassen man eine halbe Armee versorgen
konnte. „Und das sagt die komplett Kaffeesüchtige.“
Der
Kellner kam zurück, doch da ich dieses Mal seinen Blick auf mir spürte,
beobachtete ich lieber weiter den Mann draußen. Das tat ich bis ich die Frau am
Tisch direkt hinter uns entdeckte.
„Was
zum…?“
Vor
mir wurde ein Teller mit Pancakes abgestellt, den ich jedoch ignorierte.
Stattdessen war ich fasziniert von der Frau, die von einem Seil an der Decke
baumelte und Mühe hatte ihren Cappuccino zu erreichen.
„Was?“
Meine Oma nahm einen Schluck aus ihrer Kasse Taffe und ignorierte die
hochgezogene Frau gegenüber.
„Ach
nichts.“ Wieder eine Sache, die ich nicht wissen wollte. Etwas anderes
interessierte mich brennend. „Was ist das? Neben den Pancakes?“
Ich
stocherte skeptisch mit der Gabel in der aprikosenfarbenen Marmelade herum, die
neben meinen Pancakes war. Mittlerweile würde ich jede Wette eingehen, dass das
keine Aprikose war.
„Das
ist Marmelade aus Persimmons.“
„Per-was?“
„Persimmons.
Eine Birnensorte, die aus einem der Nachbarländer importiert wird. Ich kann dir
mal welche kaufen, wenn du möchtest. Die schmecken echt gut! Noch besser sind
allerdings Permapersimmons.“
„Okay…“
Dass jetzt auch noch das Obst verrückte Namen hatte, sollte mich eigentlich
nicht überraschen.
„Permapersimmons
sind sowas wie die Dauervariante der Frucht. Die Bäume tragen nur alle 100
Jahre genau drei davon. Die werden nie alle, egal wie viel man von ihnen isst.
Deshalb sind sie sehr teuer.“
„Aha.
Du Oma? Sind hier eigentlich alle verrückt?“
Zu
meiner Verwunderung lächelte sie nur. „Was glaubst du denn? Man kann nicht ganz
normal im Kopf sein, wenn man sich freiwillig dafür anmeldet 50.000 Wörter in
einem Monat zu schreiben, meinst du nicht?“
Da
konnte ich ihr nicht widersprechen. Sie trank ihren Taffe und ich aß meine
Pancakes mit Persimmons – die übrigens wirklich fantastisch schmeckten. Der
Vampir-Kellner hatte sich nun tatsächlich eine Tasse Kaffee gemacht und saß auf
einem leeren Stuhl.
„Was
machen wir heute sonst noch?“
Viel
hatte meine Oma nicht verraten wollen, als ich endlich eingewilligt hatte
dieses Jahr an NaNoWriMo teilzunehmen und außerdem versprochen hatte, den
November mit ihr zu verbringen.
„Ich
dachte du solltest die Stadt und die nähere Umgebung etwas besser kennenlernen.
Dazu machen wir eine Landschaftsbeschreiung. Die startet hier direkt vor der
Tür.“
Sie
grinste mich an während ich verwirrt die Stirn runzelte. Eine
Landschaftsbeschreiung? Da ich nicht immer alle Wörter wiederholen wollte, die
sie sagte, blieb ich dieses Mal stumm. Ich würde schon herausfinden was das
war.
Das
geschah schneller als gedacht. Ziemlich bald nachdem der letzte Pancake in
meinem Mund verschwunden war, hielt ein Wagen vor der Tür. Es war einer dieser
riesigen Busse, bei denen es eine zweite Etage gab, über der kein Dach war.
Eines dieser Touristendinger.
„ALLE
MANN EINSTEIGEN!“, schrie ein kleiner Mann mit Schnauzbart und Monokel. „DIE
LANDSCHAFTSBESCHREIUNG STARTET BALD! ALLE, DIE SICH ANGEMELDET HABEN, GEHEN
BITTE ZUM BUSFAHRER, UM IHRE NAMEN ABHAKEN ZU LASSEN!“
„Ich
hatte nicht in Erinnerung, dass es so laut ist“, meinte Oma nachdenklich.
Dann
zuckte sie jedoch mit den Schultern und tat wie der cholerische Pimpf geheißen
hatte. Mein Stuhl knarzte verdächtig als ich mich erhob und ich machte in
Gedanken einen Vermerk diesen Tisch zu meiden sollten wir noch einmal
herkommen. Der Vampir-Kellner sah uns mit gelangweiltem Blick nach und ging
dann zum Kaffeefritzen, der sich noch einen Tasse bestellt hatte.
„ALLE
DA?“, schrie der Reiseleiter.
Der
Busfahrer gab keine Antwort, was Sinn machte, denn bei näherem Hinsehen
bemerkte ich die Ohrstöpsel, die er in den Ohren hatte.
„GUT,
DANN KÖNNEN WIR JA ANFANGEN! DA DRÜBEN SEHEN SIE DIE KRIECHE DIESER STADT! DU
BESCHEUERTE KRIECHE! DU PASST HIER ÜBERHAUPT NICHT REIN MIT DEINEN
BOGENFENSTERN UND DEM BUNTEN GLAS! DEIN BAUSTIL IST JA KOMPLETT ANDERS ALS
ALLES DRUMHERUM!“
Zu
meiner Überraschung begannen einige andere Gäste nun ebenfalls die
vorbeiziehenden Gebäude zu beleidigen. Der Begriff „Landschaftsbeschreiung“
begann Sinn zu machen.
"DU BESCHEUERTE KRIECHE!" *lach* *kringel*
AntwortenLöschenIch bin den Fehlerthreads leider nicht allzu treu gefolgt, deswegen sind einige Dinge für mich neu... aber die bescheuerte Krieche hat mich doch echt lauthals zum Lachen gebracht.
Die personifizierte Gutmüdigkeit kenn ich...das war einer von meinen. *grins* Herrlich, die Landschaftsbeschreiung. Und die Krieche! Wie könnte man sie vergessen? Da fällt mir ein, hast du eigentlich an das Department of Redundancy Department gedacht? Das gehört so fest zum NaNo, dass es bestimmt Teil der Regierung in Schreibstadt ist.
AntwortenLöschenWas war das nochmal genau für ein Department? Bisher kommt es nämlich noch nicht vor. Aber es ließe sich bestimmt einbauen. Demnächst lernen sie nämlich mehr oder weniger die ganze Regierung kennen.
AntwortenLöschenIch lese das hier alles nach und nach, bin ja selten im Internet bzw. überhaupt mal zuhause.
AntwortenLöschenSo eine Landschaftsbeschreiung würde ich ja auch gerne mal mitmachen... Meinst du, das kann man auch in Deutschland mal organisieren? =)
Bin begeistert!
Also bei der Pilzizei hab ich gut lachen müssen XD
AntwortenLöschenIch muss aber auch mal sagen, das ich die Umsetzung echt originell finde <.< Das als NaNoist zu lesen macht unheimlichen Spaß ^^
Herrlich, einfach nur herrlich! :D So ne Landschaftsbeschreiung eignet sich bestimmt bestens zum Abreagieren ;) Aber hier in Deutschland gäbe das dann sicher Ärger mit der Pilzizei xD
AntwortenLöschenIch glaube, eine Landschaftsbeschreiung könnte mir gefallen :D. Aber nicht, dass dann die Pilzizei aus dem Boden wächst und mich holt :O
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