Freitag, 21. November 2014

21. Kapitel

„Bah, ist mir übel.“
Phoenix stützte mich auf einer Seite, während Freundschaf auf der anderen Lief und mich mit etwas ansah, das ein mitleidiger Blick sein könnte.
Es war nicht schwer zu erraten warum es mir so schlecht ging. Gerade hatten wir die Kapsel des gesunden Menschenversands verlassen, welche die Nonnen im Konvent gerne für uns organisiert hatten. All meine Widerworte hatten nichts genützt und so hatte ich schließlich notgedrungen Platz genommen und mich durchschleudern lassen.
Ich würgte, doch glücklicherweise hatte ich im Konvent extra nichts gegessen. Das würde ich in der Drachenschenke nachholen müssen, aber das Risiko war mir zu groß gewesen.
„Du bis zwei Tage auf einem Schiff unterwegs gewesen und du bist nicht seekrank gewesen“, meinte Blue. „Und dann sowas. Also wirklich.“
Obwohl das Schwanken in der schwingenden Stadt mir nicht besonders gefallen hatte und ich auch beim Piratenschiff meine Zweifel gehabt hatte, war es mir dort erstaunlich gut gegangen. Nur dieser bescheuerte Menschenversand schaffte mich jedes Mal.
Vor uns tauchte die Drachenschenke auf, immer noch so beeindruckend wie das erste Mal als ich sie gesehen hatte. Obwohl sich doch etwas verändert hatte. Zwei der Holzbuchstaben, die der Schenke ihren Namen gaben, waren vertauscht worden, sodass nun „Drachenschneke“ auf dem Schild zu lesen war.
Vor der Schenke waren einige Fahrräder aufgestellt. Das war doch die Idee! Wir ließen den gesunden Menschenversand links liegen und fuhren stattdessen mit Fahrrädern durch die Gegend!
Ein Mann war gerade damit beschäftigt sein Fahrrad fertig zu machen, da er anscheinend weiter wollte. Er zog eine Waffe aus einer Satteltasche und schoss sein Fahrradschloss auf.
Sofort warf ich einen Blick auf die Tür, die tatsächlich verdächtig neu aussah und deren ebenfalls nagelneue Scharniere in der Sonne glänzten. Hier hatte sich nicht viel verändert.
Das erste, was ich tat, war mir etwas zu essen zu bestellen. Meine Oma empfahl mir Spreiselbeeren zum Kompott – was auch immer Spreiselbeeren sein mochten – und bald hatte ich einen dampfenden Teller vor mir und hatte herausgefunden was das für Beeren waren. Lecker waren sie auf jeden Fall.
Die anderen hatten bereits gefrühstückt und unterhielten sich stattdessen über den weiteren Verlauf der Reise, außer Blue, der sich ebenfalls etwas bestellt hatte. Phoenix hatte bereits ihre Gedankenspinne herausgeholt, mit der sie Mr. Ian Woon über unsere bisherigen Bemühungen aufklären wollte. Da das mit den Wundern ins Wasser gefallen war, mussten wir uns außerdem nach einer neuen Möglichkeit umhören wie man die Bunnys loswerden könnte.
„Ah, das war gut!“ Blue lehnte sich zurück und lächelte in die Runde. „Und jetzt der beste Teil vom Essen – der Nachttisch!“
„Ich bin mir nicht sicher, dass ich das probieren möchte…“, meinte ich nur und schob meinen leeren Teller ebenfalls von mir.
„Dann kommen wir jetzt zum ernsten Teil unserer Reise zurück.“
Phoenix setzte die Gedankenspinne auf den Tisch. Ich musste mich zurückhalten mich nicht so weit in meinem Stuhl zurückzulehnen wie es möglich war. Phoenix drückte an irgendwelche Gelenke der Spinne, sodass sie sich plötzlich aufrichtete und eine seltsame blaue Kugel ausstieß, die über ihr schwebte.
„Das ist für Gruppenanrufe“, erklärte sie. „Normalerweise kann man die Spinne einfach in die Hand nehmen, dann können zwei Personen in Gedanken miteinander sprechen. So können wir alle zusammen denken und hören was Mr. Ian Woon uns zu sagen hat.“
„Und die anderen Leute in der Drachenschenke? Hören die nichts?“, wollte ich wissen.
Jetzt wo die Spinne so ruhig dasaß, traute ich mich sie mir näher anzusehen. Nach einem Blick auf die haarigen Beine und riesigen Greifzangen beschloss ich aber, dass ich damit leben konnte sie mir nicht genau anzusehen. Igitt.
Phoenixfeder gab der Spinne erneut einen Stups und die Kugel aus Licht begann zu pulsieren.
„Hallo, Mr. Ian Woon hier“, ertönte eine Stimme in meinem Kopf.
Das Gefühl war bizarr. Es hatte bestimmt jeder schon ausprobiert wie sich die eigene Stimme anhörte wenn man sprach und sie gleichzeitig die Ohren zuhielt. Das hier war ähnlich. Mr. Ian Woons Stimme klang gedämpft und hohl was würde er durch das eine Ende einer langen Röhre sprechen und ich würde mein Ohr an das andere Ende drücken.
„Hier ist Phoenix.“ Auch ihre Stimme klang wie ein Echo. „Wir wollten Bericht erstatten wie es uns so ergangen ist.“
„Ach! Hallo Phoenix. Hören alle mit?“
Etwas, das sich wie eine Bestätigung anfühlte formte sich in meinem Kopf. Ohne Worte allerdings. Phoenix musste schon öfter mit Gedankenspinnen gearbeitet haben, denn selbst die Vorstellung Sätze nur in meinem Kopf zu formen und dann zu „schicken“ war mir unbehaglich. Das sogar mit Gefühlen zu tun war eine ganz andere Liga. Und jetzt schaffte Phoenix das sogar mit Bildern, denn die bisherigen Stationen unserer Reise zogen an meinem inneren Auge vorbei. Warum gab mir diese Kommunikation per Spinne das Bedürfnis mit einem Finger in meinen Ohren herumzubohren?
„Das ist natürlich unglücklich“, kommentierte Mr. Ian Woon die Sache mit den Wundern. „Ich habe auch Neuigkeiten. Jemand hat die Bedrohung zugestellt.“
„Äh, was?“, meldete sich Blue zu Gedanke. „Man ist das seltsam so zu sprechen/denken. Hey! Jeder weiß sofort was ich mit sprechen/denken meine; gesprochen würde sich das seltsam anhören, aber gedacht… wisst ihr was ich meine? Das ist...“
Phoenix schubste ihn in Gedanken und Blues Gedankenfluss wurde unterbrochen.
„Ja, es ist am Anfang recht schwer aufzuhören Gedanken zu schicken wenn man erst mal damit angefangen hat“, dachte Mr. Ian Woon. „Aber weiter im Text. Ja, die Plotbunnys wurden uns zugestellt. Über den gesunden Menschenversand. Damals waren es nur ganz wenige, die plötzlich in irgendeiner Kapsel aufgelaufen sind, aber die haben sich sofort ganz schrecklich vermehrt.“
„Make Post, not war“, kicherte Blue und ein einschlägig gedachtes Halt die Klappe! erwischte ihn von allen Seiten. Was würde ich jetzt für einen Troutsmiley geben.
„Das ist ernst“, erinnerte Phoenix ihn. „Das bedeutet, dass die Bunnyinvasion nicht unser einziges Problem ist. Jemand steckt dahinter. Ich vermute dieselbe Person, die uns die Rauchninjas auf den Hals gehetzt hat.“
Ein paar der Puzzlestücke, die wir die letzten Tage aufgesammelt hatten, fielen an ihren Platz. Der Rest war immer noch ein einziges Durcheinander, aber das hier war ein Anfang.
„Was habt ihr jetzt vor? Ich habe die Pilzizei darauf angesetzt denjenigen zu finden, der hinter den Plotbunnys steckt, aber sie haben genug zu tun die Bunnyinvasion einzudämmen“, erklärte Mr. Ian Woon. „Die Boden des Könlings helfen ebenfalls mit. Aber ihr solltet euch darauf einstellen öfter Besuch von den Ninjas zu haben, denn um die können wir uns nicht auch noch kümmern.“
Die Frage nach dem was nun? hing unausgedacht in der Luft. Es war ausgerechnet Blue, der sie beantwortete.
„Wir könnten versuchen die Traveling Shovel of Death zu benutzen!“
„Die was?“, meldete ich mich das erste Mal zu Gedanke. „Was soll das sein?“
Es war ein seltsames Gefühl meine Gedanken aus meinem Kopf strömen zu fühlen. Es fühlte sich an als würde ich mich unheimlich verletzlich machen und gleichzeitig wollten, nachdem ich einem Gedanken erlaubt hatte meinen Kopf zu verlassen, alle anderen Gedanken folgen.
Mental stellte ich es mir wie einen Staudamm vor, durch dessen Mauer ich gerade das erste Mal Wasser gelassen hatte. Durch den Druck dahinter wollten alle weiteren Gedanken das Loch vergrößern, doch ich ließ eine dicke Metallplatte runterknallen, die den Fluss sofort stoppte.
„Die TSoD“, dachte Blue. „Komm schon, du musst davon gehört haben.“
„Ich bin ein absoluter NaNo-Newbie“, erinnerte ich ihn. „Mein Wissen über das NaNo-Land beschränkt sich auf das, was ich bisher mit euch erlebt habe.“
„Oh, das hatte ich ganz vergessen…“
Das wiederum gefiel mir. Dass er vergessen hatte was für ein Newbie ich war bedeutete wohl, dass er mich automatisch zur Gruppe zählte.
„Die Traveling Shovel of Death, die wandernde Schaufel des Todes, ist eine NaNo-Legende“, erklärte meine Oma nun. „Jedes Jahr bauen mehrere Wrimos sie in ihre Geschichten ein. Dort wird sie dazu verwendet Leute umzubringen, um die Geschichte voranzutreiben, manchmal werden auch nur Personen k.o. geschlagen, sie taucht blutig am Boden auf oder sonst etwas. Sie scheint sich zu einer Art Massenmörder entwickelt zu haben.“
„Das hört sich wirklich gruselig an“, dachte ich. „Und wie soll die uns helfen?“
„Nun, die Traveling Shovel of Death kann so ziemlich alles töten“, meinte Mr. Ian Woon. „Zumindest geht so die Legende. Wer auch immer sie führt kann sich aussuchen wen oder was er als nächstes tötet.“
„Das ist grauenhaft!“ Das Bild einer Gartenschaufel, die blutig am Boden lag, erschien in meinem Kopf.
„Eigentlich nicht. Das ist im Endeffekt nichts anderes als ein Schwert“, dachte Blue. „Sowas wie die Legende von Excalibur. Da beschwert sich auch keiner drüber wenn jemand in einer Geschichte Excalibur findet und damit in den Krieg zieht. Es wird ja fast schon erwartet.“
Mir gefiel das trotzdem nicht, vor allem als mir klar wurde, dass dieses Teufelsgerät dazu benutzt werden sollte die Bunnys zu töten. Die süßen, flauschigen Bunnys, die eigentlich alle nur ein neues Zuhause haben wollten.
„Ohne mich“, entschied ich. „Bei sowas mache ich nicht mit.“
Die Gedankenkonferenz schwieg. Es war als hätte ich für kurze Zeit alle Köpfe leer gefegt.
„Aber Mia“, versuchte es Phoenixfeder. „Wir wissen noch nicht einmal ob die TSoD wirklich funktioniert. Und selbst wenn… man könnte sie auch dazu einsetzen den Auftraggebern hinter den Bunnys zu drohen. Damit ließe sich vielleicht etwas erreichen.“
„Das ist grausam. Du bist grausam.“ Das hätte ich nicht gedacht. Und jetzt hatte ich es zu ihr gedacht. Äh…
„Nicht grausam. Praktisch veranlagt.“
„Es gibt sowieso ein Problem“, meldete sich Mr. Ian Woon zu Gedanke. „Die TSoD ist immer nur in NaNo-Geschichten zu Gast. Und da die letzten Monate kaum jemand an einer NaNo-Geschichte geschrieben hat, hat niemand eine Ahnung wo die Schaufel sich befindet. Normalerweise taucht sie spätestens Anfang November in den Händen irgendwelcher Autoren wieder auf.“
„Aber so lange warten können wir nicht“, führte meine Oma den Gedanken fort. „Der November könnte ausfallen wenn wir sie nicht jetzt finden.“
„Warum Traveling Shovel of Death?“, brach ich mein sehr kurzes Schweigen. Meine Neugier gehörte bestraft.
„Weil sie von einer Geschichte in die andere springt. Niemand kann die TSoD ewig behalten. Wenn man sie für die Szene genutzt hat, in der sie vorkommen sollte oder sie sich eigenmächtig eingeschlichen hat, verschwindet sie und taucht bei irgendjemand anderem auf. Das Ding wandert“, erklärte meine Oma. „Es gibt allerdings immer Gerüchte darüber wo sich die Schaufel befinden könnte. Und ein guter Platz, um sie zu sammeln ist die Drachenschenke.“
Wir waren so vertieft in unsere Gedanken gewesen, dass wir den Wirt nicht bemerkt hatten, der nun neben unserem Tisch erschienen war.
„Entschuldigen Sie, aber wir müssen den Keller in die Küche bringen. Der muss hier durch und wir müssen alle Stühle und Tische beiseite räumen, um genug Platz zu haben“, sagte er.
„Wir denken uns später“, meinte Mr. Ian Woon, der über den Gedanken von einem von uns wohl von der Unterbrechung erfahren hatte.
Die Lichtkugel über der Spinne wurde kleiner und kleiner bis sie schließlich ganz verschwand und Phoenix die Spinne zurück in ihre Tasche steckte. Danach halfen wir dem Wirt dabei unseren Tisch, der tatsächlich als einziger noch übrig war, an die Wand zu schieben.
Die Aktion, die wir dann zu sehen bekamen, vertrieb fast die TSoD aus meinem Kopf. Ein riesiger Kellerraum wurde von mehreren Leuten auf einem rollbaren Untersatz durch den Schankraum gezogen. Wie sie den die Kellertreppe hochbekommen hatten wusste ich nicht. Vermutlich war Magie im Spiel gewesen.
Sobald er in der Küche verschwunden war, halfen mehrere Gäste dabei die Tische und Stühle wieder aufzustellen und alles lief weiter als sei nie etwas gewesen. Wir saßen noch eine ganze Weile am Tisch. Die anderen diskutierten darüber wo man anfangen könnte nach der TSoD zu suchen. Ich diskutierte mit mir selbst ob ich mitkommen sollte oder nicht.
Das wäre Massenmord an Plotbunnys und ich konnte das einfach nicht zulassen. In meiner Tasche spürte ich den warmen Körper meines Plotbunnys, das sich wie immer zusammengerollt hatte und schlief. Allein für Fluffles konnte ich das nicht zulassen.
Genau deshalb musste ich mitkommen.
Sobald diese Entscheidung gefallen war, fühlte ich mich besser. Ganz langsam wurde ich von den Stimmen aus dem sich füllenden Schrankraum eingelullt, der sich direkt neben dem Hauptraum der Drachenschenke befand und in dem gerade einige Wichtel eine Geburtstagsfeier abhielten.
Die Stille wurde nur einmal gebrochen als ein Mann die Drachenschenke verließ und die Tür hinter sich schoss, sodass sie noch eine Weile im Rahmen bebte.
„Eine extradicke Tür“, erklärte der Wirt. „Die hält wenigstens ein paar Schüsse aus.“
Neben der Bar schlief ein Mann in aller Seelentruhe weiter. Sogar als auf die Tür geschossen wurde, drehte er sich nur seelenlos einmal um. Ich hatte den Wirt dazu befragt, der gemeint hatte eine Seelentruhe müsste man sich anschaffen wenn man keine Seele mehr hatte. In Träumen würde sich die Seele offenbaren, was Schlaf gefährlich machte wenn man keine mehr hatte.
Diese Erklärung machte mich sofort so müde, dass ich mich sofort danach auf mein Ebenfallssofa zurückzog.

3 Kommentare:

  1. Ich war zu selten im Fehlerthread... ich nehme an der Keller sollte ein Teller sein.

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  2. Ich wundere mich jetzt schon seit dem ersten Auftauchen, wies man von "gesunder Menschenverstand" auf diese einzigartige Menschen-Verschick-Art kommt...
    In diesem Kapitel habe ich das erste Mal gelesen, was da wirklich steht. Und ich bin langsam wirklich gespannt, wie die Geschichte dieses Jahr aussieht :-3

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    1. Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Irgendwer hat diesen wunderbaren Tippfehler produziert. Ich habe mir dazu nur eine der ungesündesten Arten zu reisen ausgedacht, die ich mir vorstellen konnte. ^^

      Die Geschichte sieht unter anderem so aus, dass die Mitarbeiter des Menschenversands streiken und alle den Fakir-Ferkehr nehmen müssen. :P

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