Freitag, 7. November 2014

7. Kapitel


Mit quatschenden Reifen kam der Wagen vor unserer Haustür zum Stehen.
„Sag mal, bist du etwa durch Bunnyköttel gefahren? Von deiner Seite her stinkt es ganz fürchterlich“, beschwerte sich das rechte Vorderrad.
Bevor wir die Erwiderung des linken Vorderrades oder gar der hinteren Räder hören konnten, stiegen zuerst mehrere Bodyguards und dann ein schick gekleideter Mann aus. Er war recht groß und schlank, trug einen schwarzen Anzug, einen Bowler und eine rote Fliege. Den Bowler lüpfte er als er meine Großmutter zu Gesicht bekam und brachte damit schwarzes, mit grauen Strähnen durchzogenes Haar zum Vorschein.
„Guten Tag, die Damen.“
„Guten Tag, Mr. Ian Woon. Es ist mir eine Ehre, wie immer.“
Meine Großmutter machte tatsächlich einen kleinen Knicks und lüpfte ebenfalls ihren lila Samthut. Dann sah sie erwartungsvoll mich an.
„Gleichfalls, nehme ich an.“ Auf den Knicks verzichtete ich allerdings.
Die Bodyguards waren gerade damit beschäftigt einige Plotbunnys abzuwehren, die versuchten sich um uns zu scharen. Das war der Grund weshalb Mr. Woon – Entschuldigung, Mr. Ian Woon, den man anscheinend bei ganzem Namen nennen musste – uns von seinem Wagen abholen ließ.
Die ganze Nacht hatten meine Oma und ich zusammengesessen und die Bunnys vor dem Fenster beobachtet. Irgendwann hatten sie es aufgegeben zu versuchen durch unsere Tür zu kommen. Das Laserbunny war glücklicherweise nicht aufgetaucht. Die meisten Hasen hatten sich dann zerstreut, doch ein paar dickköpfige Bunnys hatten die ganze Nacht vor unserem Haus gewartet.
Ich war irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen und durch das Klingeln eines Handys aufgewacht. Es war Mr. Ian Woon, der meine Großmutter wie erwartet gefragt hatte, ob sie ihm helfen würde. Und natürlich hatte sie ja gesagt. Da ich mich geweigert hatte alleine zurückzubleiben während sie auf eine Konferenz oder sowas ging, war ich notgedrungen mitgekommen.
Besagte Konferenz schien eine große Sache zu sein. Kurz hatte ich überlegt, ob ich mein Áo dài anziehen sollte; dazu hatte ich so selten Anlass und meistens wurde ich dann blöd angeschaut. Allerdings hatte ich mich letztendlich dagegen entschieden. Ich wollte nicht mal mit, sondern tat das nur, weil meine Oma sich nicht überzeugen ließ die Bunnys Bunnys sein zu lassen und lieber das Haus zu sichern.
Wir schlüpften nacheinander ins Auto, ich in dem Outfit, das ich auch gestern getragen hatte, meine Oma in einer besonders schicken lila Bluse und weiten helllila Hosen, während die Bodyguards die Bunnys so weit zurücktrieben, dass man die Autotüren schließen konnte. Dann gab der Fahrer Gas und versuchte noch so viele Bunnys wie möglich zu überfahren. Das Auto holperte ein paar Mal, doch als ich in den Rückspiegel blickte, hoppelten die Bunnys munter weiter. Einige hatten ein paar Schürfwunden oder Ähnliches, aber behindern tat es sie gar nicht.
Trotzdem bat ich den Fahrer den Bunnys lieber auszuweichen, angeblich weil mir durch das Holpern schlecht wurde. Die taten mir halt leid. Schlecht wurde mir dann allerdings eher davon, dass der Fahrer tausend Kurven fuhr, um den wandelnden Fellknäulen auszuweichen.
Es waren kaum Menschen auf der Straße. Einige hatten sich mit Golfschlägern oder anderen harten Gegenständen bewaffnet (ich sah an einer Ecke wie ein Mann mit einem Handstaubsauger um sich fuchtelte, dann fuhren wir vorbei), um Bunnys aus dem Weg zu bekommen. Andere saßen einfach nur da und hielten freudestrahlend mehrere Plotbunnys im Arm. Sie waren es, bei denen es mir wirklich kalt den Rücken herunterlief.
„Wohin geht es eigentlich?“ Nicht dass es mich wirklich interessieren würde, aber vielleicht konnte man damit meinen Magen ablenken. Der war nämlich kurz davor sich zu Wort zu melden. Und es würde keine besonders artikulierte Unterhaltung werden.
„Ins Gemeindehau“, sagte Mr. Ian Woon und deutete auf das große Gebäude, das vor uns aufgetaucht war.
„Soll ich mir darunter eine öffentliche Einrichtung zur Anwendung von Gewalt vorstellen?“, fragte ich, mehr genervt als verwirrt.
„Sowas in der Richtung“, meinte meine Oma grinsend. „Dort finden die Ratstreffen statt wenn sie in Schreibstadt tagen. Dazu kommen Ratsmitglieder aus allen NaNo-Regionen zusammen.“
„Das hier ist eindeutig eine Situation, die solch ein Treffen nötig macht.“
Was das mit einer Schlägerei zu tun hatte war mir noch nicht ganz klar, aber ich wollte den beiden nicht zeigen, dass ich neugierig darauf war.
Mr. Ian Woon deutete auf hunderte Bunnys, die sich auf dem Platz vor dem Gebäude versammelte hatten. Zurückgehalten wurden sie von einer Art Mauer aus Sandsäcken, die von mehreren Pilzizisten immer wieder erneuert wurde wenn die Bunnys sie an einer Stelle durchbrachen. Das Auto hielt vor einem Eisentor, durch das mehrere Pilzizisten nach draußen kamen, um die Bunnys in Schach zu halten während die Insassen des Autos ausstiegen. Sobald wir durch das Tor getreten waren, wurde es hinter uns wieder verschlossen.
„Seid ihr auf eine Bunnyinvasion vorbereitet oder warum wisst ihr genau was zu tun ist?“ Ich sah zurück auf die Leute, die Sandsäcke schleppten. Erst jetzt fiel mir auf, dass es nicht nur Pilzizisten waren, sondern auch viele Bürger, die wohl einen Beitrag leisten wollten.
„Es war immer eine Möglichkeit, ja. Allerdings ist zumindest in unseren Aufzeichnungen nichts darüber zu finden, dass es einen Plotbunnyausbruch in dieser Größe jemals zuvor gab. Einzelne Dörfer, ja. Aber eine ganze Stadt… niemals.“
Da war etwas in seinem Unterton, das mich stutzen ließ. Es war nicht mehr nur die ganze Stadt. Die Bunnys hatten sich weiter verbreitet! Vielleicht war es doch nötig, dass meine Oma half. Bei was auch immer das sein mochte.
Das Gemeindehau sah der Pilzizeistation recht ähnlich. Dieselben Säulen vor dem Eingang, etwa dieselbe Größe. Nur die Banner waren andere. Hier war das Wappen des NaNo-Landes zu sehen, ein blaues Schild, das einen Wikingerhelm trug, mit einer Tasse Kaffee, einem Laptop, zwei sich überkreuzenden Stiften und einem Berg Papier. Daneben war das, was vermutlich das Wappen von Schreibstadt war. Eine Feder, die irgendein Motto schrieb.
„Hier.“ Mr. Ian Woon hielt etwas hoch. „Die besten Plätzchen! Immerhin müsst ihr in den VIP-Bereich kommen.“
„Essbare Tickets“, erklärte Oma als ich eins der Plätzchen nahm.
Es war ein Lebkuchen mit Zuckergussschrift, so ähnlich wie die Herzen, die man immer auf Jahrmärkten fand. Es gab sogar ein Band, das durch ein Loch an der oberen Seite gezogen war.
„Iss es ja nicht bevor wir auf unseren Plätzen sitzen“, ermahnte sie mich.
Schade. Das Plätzchen roch nämlich echt gut.
Eine ganze Ansammlung von Menschen hatte sich vor dem Gebäude zusammengefunden. Viele davon machten Pause vom Sandsackschleppen, andere beobachteten das Treiben ohne zu helfen.  Außerdem waren dort mehrere Reporter, die sich sofort auf uns stürzten als wir näher kamen – oder eher auf Mr. Ian Woon.
„Mr. Ian Woon! Mr. Ian Woon! Was gedenkt die Region Deutschland gegen die Plotbunnyplage zu unternehmen? Ist es wahr, dass sich die Invasion schon weiter ausgebreitet hat als Schreibstadt?“
„Kein Kommentar“, erwiderte Mr. Ian Woon nur und schob sich langsam durch die Menge der Reporter.
Die wiederum verloren vier Worte über die ganze Sache. „Das war kein Kommentar.“
„Die kommen bestimmt aus Österreich“, meinte Oma.
„Warum denkst du das?“
„Das mit den vier Worten ist sowas wie ein Running Gag. Die sind angeblich sehr wortkarg da drüben. Nicht gerade praktisch beim NaNo.“ Sie zeigte einem Mann ihr Plätzchen vor.
Ich tat es ihr nach und wir kamen endlich aus der Masse an Reportern vorbei. Um die Treppenstufen des Gebäudes herum hatte man mehrere Wachmänner aufgestellt, dieses Mal nicht um Bunnys fernzuhalten, sondern um die Reporter oder andere nicht eingeladene Menschen davon abzuhalten das Gebäude zu betreten.
„Was die mit den Bunnys haben…“, murmelte Mr. Ian Woon. „Erst einmal denke ich an die Plotiker da drinnen, die darüber beraten. Wir müssen uns beeilen.“
Die Plotiker waren dann wohl die Ratsmitglieder. Ich war also doch lernfähig! Meinen kurzen Triumph über die seltsame NaNo-Welt konnte ich allerdings nur kurz auskosten, denn dann sah ich wer oder was den Eingang zum Gebäude bewachte.
„Was ist das?“
„Das sind brükratische Volltrollen.“
„Was?“
„Trolle. Volltrollen. Und zwar brükratische. Die sind als letzte Abwehrmaßnahme gegen Bunnys gedacht, die durchkommen. Oder neugierige Reporter“, erklärte Mr. Ian Woon. „Und die Ratsmitglieder denken sie könnten was gegen die Bunnys ausrichten. In der Hinsicht sind die selbst Volltrollen.“
Im Gebäude führte Mr. Ian Woon uns in den größten Versammlungssaal. Er war rund und aufgebaut wie ein altes Amphitheater und am Eingang wurden erneut unsere Plätzchen kontrolliert. Langsam begannen die echt unwiderstehlich zu riechen.
Zwei Männer kamen an uns vorbei, die mit einem irischen Akzent sprachen. Die Iren verirten sich zwischen den Sitzreihen und ich verlor sie aus den Augen. Es waren also auch Leute aus anderen Regionen da. Anscheinend hatten alle Angst, dass die Bunnyplage um sich griff.
„Ach, im Rat sind doch alle Mitglieder vergammelt“, beschwerte sich eine Frau, die nun auf der anderen Seite an ihnen vorbeiging. Der Mann, mit dem sie redete, nickte nur. „Die können eh nichts gegen die Viecher ausrichten.“
Damit ließen wir den Bereich hinter uns, der auch von Gästen besucht werden konnte. Die nächsten Kontrolleure sahen genauer auf unsere Plätzchen, obwohl Mr. Ian Woon ohne Kontrolle durchgewinkt wurde.
„Wer genau ist der eigentlich?“, flüsterte ich Oma zu. Das hatte ich die ganze Zeit schon fragen wollen, aber nachts war ich leider eingeschlafen und danach war es mir unhöflich erschienen ihn selbst zu fragen.
„Na er ist der König des NaNo-Landes! Er ist mehr zu repräsentativen Zwecken da, aber immer noch eine hohe Persönlichkeit“, sagte sie.
Der Raum, in dem wir uns jetzt befanden, war von verschiedenen politischen Parteien in Beschlag genommen worden. Unter einem Banner, auf dem „PDN – Partei der Novemberschreiber“ stand, diskutierten einigen Mitglieder gerade über Bunny-Rechte.
„Außerdem ist sein Name ein Anagramm von NaNoWriMo“, fuhr Oma fort. „Deshalb wird er oft von Wrimos aus allen Regionen in ihre NaNo-Novels eingebaut, sozusagen als kleiner Scherz.“
Das erklärte dann auch warum jeder darauf bestand ihn bei seinem vollen Namen zu nennen. Wie unpraktisch.
Wir kamen an einer anderen Partei vorbei, wo ein Mann gerade ein angebliches Wundermittel gegen Plotbunnys anpries. „Ganz neu aus der heimlichen Produktion in Östeterich“, erklärte er. Die anderen Parteimitglieder sahen nicht besonders überzeugt aus.
In einer anderen Ecke war ein seltsames Gerät aufgebaut. Darüber prangte ein weiteres Banner, das den „Trebuchet-Club“ anpries. „Anwesend, aber nicht stimmberechtigt“, hatte jemand anderes darunter gepinselt. Eins der Mitglieder, eine Frau in Stöckelschuhen, war gerade damit beschäftigt auf einer Leiter herumzuklettern und zu versuchen den Schriftzug vom Banner zu tilgen.
„Excuse me, miss. Only ceremonial diggers are allowed….“, begann ein Wachmann vor einer neuen Tür durch die Mr. Ian Woon gerade verschwunden war.
„Wir sind von hier“, sagte Oma geduldig. „Und wir werden erwartet.“
„Oh. Na dann“, meinte der Wachmann und trat zur Seite, nachdem er einen Blick auf unsere Plätzchen geworfen hatte.

3 Kommentare:

  1. Die Iren verirten sich *lachflash* Herrlich!

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  2. Die brükratischen Volltrollen vergammeln im Gemeindehau <.< Selten so gelacht XD

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  3. Das war das bisher lustigste Kapitel. So viele göttliche Fehler, die du da gut verbaut hast :D.
    Die vergammelnden Trolle :D.
    Die heimliche Produktion :D.
    Ich krieg mich nicht mehr ein :D

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