Samstag, 8. November 2014

8. Kapitel

Das, was ich einfach mal als Allerheiligstes des Versammlungsraumes bezeichnete, war schon deutlich kleiner als die Hallen davor. Es handelte sich um mehrere Reihen des Amphitheaters von denen aus man den Rest überblicken konnte. Während es in den anderen Bereichen nur blaue Polster auf den Stühlen gab, die aussahen als wären sie aus Plastik, gab es hier rote Polster. Samt, wenn ich mich nicht irrte. Mr. Ian Woon saß sogar auf einem thronähnlichen Stuhl in der Mitte des Raumes, der zwei Armlehnen hatte und eine Rückenlehne, die fast doppelt so hoch war wie Mr. Ian Woon selbst.
Meine Oma zog mich an die Seite, wo hinter einer Absperrung aus rotem Samtband ein paar VIP-Stühle standen. Wir ließen uns auf zweien davon nieder und beobachteten von dort das Vorgehen des Raumes. Hinter uns auf weiteren VIP-Stühlen saßen zwei andere Personen, doch im Vergleich zum Rest der Leute hier sahen sie so normal aus, dass ich ihnen keinen zweiten Blick schenken konnte.
Alle Ratsmitglieder trugen seltsame Hüte und einer übertrug den anderen um Längen in Abstrusität. Den Seltsamsten hatte wohl Mr. Ian Woon, dessen Hut ein hässliches Monster aus blauem Brokat war, der in der Mitte von einer kronenförmigen Manschette umgeben war. Am Rand baumelten mehrere Sterne und Monde. Ich musste unweigerlich kichern.
Platz zwei des schrecklichsten Huts aller Zeiten belegte der Hut eines Mannes, der breit gebaut war und rechts von Mr. Ian Woon saß. Sein Hut sah aus als hätte er sich eine Schultüte verkehrt herum auf den Kopf gesetzt. Der Hut war kitschig pink und einige Einhörner galoppierten um seinen Rand. Was die Sache dann fast wieder interessant machte war die Tatsache, dass sich die Einhörner bewegten.
„Das ist der Bügelmeister von Schreibstadt“, sagte Oma, die meinem Blick gefolgt war. „Es wird gemunkelt, dass der Hut magisch ist und ihm bei seinen Reden immer alles zuflüstert was er sagen muss.“
Der Bügelmeister stand gerade auf, doch weil sein Stuhl höher stand als der aller anderen außer Mr. Ian Woons, stolperte er eine Stufe hinunter und verlor seinen Hut. Dieser landete eine Reihe vorher auf dem Schoß eines Ratsmitglieds. Der gab ihm seinen Besitzer zurück, indem er darauf wartete, dass der Bügelmeister sich durch die ganze Reihe gekämpft hatte, um an seinen Hut zu kommen.
„Hut, dann lass uns beginnen!“, sagte der Bügelmeister.
„Der spricht mit seinem Hut?“, flüsterte ich meiner Oma zu.
Die bedeutete mir nur still zu sein. Der Bügelmeister zog eine lange Liste aus der Tasche und begann die Namen darauf vorzulesen. Es begann mit Mr. Ian Woon, dann ging es durch die einzelnen Regionen des NaNo-Landes. Alle Ratsmitglieder, die anwesend waren, hoben die Hand.
„Ratsmitglied Tim für die Calgary-Region.“ Ein Mann in der zweiten Reihe hob die Hand.
„Tim wird öfter mal in NaNo-Romane eingebaut“, erklärte meine Oma. „Weil in einem Jahr alle, die das gemacht haben, die 50000 Wörter erreicht haben.“
„Wer ist das da?“, fragte ich und deutete auf eine Frau. Sie war dünn, geradezu ausgemerkelt.
„Die repräsentiert die Region Deutschland. Unsere Region.“
„Ratsmietglied Allison Cockwood-Walters“, las der Bügelmeister gerade vor.
Der ganze Saal prustete los.
„Department of Redundancy Department, we have an emergency!”, schrie plötzlich eine Stimme und zwei Pilzizisten schlängelten sich um um die Stühle, auf denen die Ratsmitglieder Platz genommen hatten. Diese sahen sahen sich verwirrt an.
„Es wurde gemeldet, dass es hier eine ganze Person doppelt gibt!“ Sie entdeckten zwei scheinbar identische Männer, die die auf zwei Stühlen nebeneinander saßen. „Machen Sie den Weg frei!“
„Wir sind Zwillinge!“, beschwerten sich die beiden beiden. „Hey, lassen Sie uns los!“
Dann gab es eine kurze kurze Diskussion darüber ob die Zwillinge nun Wiederholungen waren oder nicht. Dann, nachdem die Zwillinge von Mr. Ian Woon in Schutz genommen worden waren, zog sich das Department of Redundancy Department wieder wieder zurück. Dann ging der Bügelmeister sichtlich verstört zum weiteren Vorlesen der Liste über.
Ich hatte das Ganze interessiert beobachtet, doch die gelangweilten Mienen der anderen Anwesenden legten nahe, dass es hier immer so zu ging.
Nachdem die Liste endlich abgearbeitet war, fand ich schnell heraus, dass das schon der spannendste Teil des Treffens gewesen war. Die Argumente für und gegen die Hilfe bei der Bunnyinvasion flogen durch den Raum. Es wurde außerdem die Frage „wenn helfen, dann wie?“ breitgetreten wie ein Kaugummi auf dem Bürgersteig. Und niemand kam zu irgendetwas. Irgendwann artete das Ganze aus und ich fand endlich heraus warum das Gebäude Gemeindehau genannt wurde.
Die Ratsmitglieder betraten sich eingehend.
„Wir müssen diese Bunnyplage loswerden!“
„NaNo ist in Gefahr!“
„Aber sie sind soooo süß – Au!“, woraufhin das Ratsmitglied dem anderen ebenfalls eine Ohrfeige mit seinem schrecklichen Hut verpasste. Das erklärte dann auch die ganzen Hüte.
Das war ja wie im Kindergarten hier! Und so sollte die Bunnyinvasion angegangen werden? Wenn das so weiter ging, würde der NaNoWriMo dieses Jahr wirklich nicht stattfinden.
Mr. Ian Woon schien das ähnlich zu sehen, denn mitten in der Diskussion stand er auf und winkte uns ihm zu folgen. Die anderen Ratsmitglieder, die sich gerade sprichwörtlich in den Haaren lagen, bemerkten das nicht einmal sondern prügelten sich munter weiter. Zu meiner Verwunderung standen nicht nur meine Oma und ich auf, sondern auch die zwei VIPs, die hinter uns gesessen hatten.
Der Raum nebenan war wesentlich kleiner als die VIP-Loge, dafür aber ruhig. Er musste schallgedämpft sein, denn das Gezeter aus dem Nebenraum, das erstaunlich laut gewesen war, war hier nur noch zu erahnen. Auch hier standen ein paar der roten Polsterstühle und nachdem Mr. Ian Woon einen Lichtschalter betätigt hatte, sah der Raum sogar ganz nett aus. Ein bisschen erinnerte er mich an einen winzigen Kinosaal.
„Ihr seht warum die Plotbunnyinvasion auf diese Art und Weise nicht beendet werden kann?“, fragte Mr. Ian Woon.
Eine Antwort war nicht nötig. Ein besonders lauter Schrei aus dem Nebenraum, der sogar bis hierher vordrang, sagte alles was es zu dem Thema zu sagen gab.
„Deshalb habe ich euch hier versammelt. Ihr alle habt mir schon einmal bei schwierigen Aufgaben geholfen. Vielleicht nicht bei Problemen dieser Größenordnung, aber deshalb werdet ihr ja zu dritt sein.“
„Zu viert“, unterbrach ich ihn.
Die anderen sahen mich verwirrt an.
„Ihr glaubt doch nicht im Ernst ich lasse meine Großmutter alleine gegen diese Plotbunnys ins Feld ziehen! Das könnt ihr vergessen.“
„Das ist dein erster NaNoWriMo?“, wollte Mr. Ian Woon wissen.
„Ja.“
„Dann ist es vielleicht keine so gute Idee. Ich habe diese drei auch ausgewählt, weil sie schon Erfahrung damit haben beim NaNo mitzumachen. BlueSkies hier zum Beispiel“ er deutete auf einen Jungen in zerrissenen Jeans mit funkelblauen Haaren und Augen „ist ein Overachiever. Er schreibt immer wesentlich mehr als 50000 Wörter, also wird es für ihn kein Problem sein das Ziel zu erreichen, auch wenn er dieses Jahr nichts planen kann.“
Der Junge knabberte unbeeindruckt an seinem Plätzchen herum, von dem nur noch ein fingerbreites Stück übrig war.
„Das hier ist Phoenixfeder. Sie ist ein ML, ein Municipal Liason, und das schon seit drei Jahren. Sie kann mit sowas umgehen.“
Die recht kleine Frau mit der robusten Statur und den kurzen braunen Haaren lächelte. „Danke für das Kompliment. Auch wenn ich in den Jahren, wo ich beim NaNo mitgemacht habe, nicht unbedingt immer gewonnen habe“, meinte sie. „Da schadet ein Jahr mehr oder weniger dann auch nicht mehr.“
„Und deine Großmutter ist die beste Planerin, die ich kenne. Sie schreibt den zweiten Band einer Geschichte und muss deshalb nicht so viel vorplanen, weil alles schon steht. Sie kann es sich also auch erlauben auf die Suche nach einem Mittel gegen die Bunnys zu gehen.“
„Das ist mir egal. Ich gehe trotzdem mit. Ich schaffe das irgendwie. Und wenn wir die Bunnys nicht loswerden, fällt der NaNo sowieso aus, habe ich Recht?“ Einen Plot hatte ich ja eh noch nicht, also würde sich für mich nicht viel verändern.
„Naja, sie hat schon irgendwie Recht“, meldete sich BlueSkies zu Wort. „Sie kann doch genauso gut mitkommen. Einer mehr kann nicht schaden.“
Mr. Ian Woon seufzte und strich sich einige der Monde und Sterne aus der Stirn. „Wenn deine Großmutter nichts dagegen hat, meinetwegen.“
„Naja, so kann ich wenigstens ein Auge auf sie haben“, sagte meine Oma.
„Dann wäre das also beschlossene Sache.“ Mr. Ian Woon sah nicht begeistert aus, entschied sich dann aber fortzufahren, denn er zog einen Beutel zu sich heran. „Damit eure Aufgabe etwas einfach wird, habe ich ein paar Gegenstände, die euch helfen könnten.“
Zuerst zog er eine Katze aus der Tasche. Alles Fell war ihr scheinbar abrasiert worden und sie war von oben bis unten mit Edding beschrieben worden. Das Tier wand sich und kratzte, doch nachdem Mr. Ian Woon es einmal am Ohr gezogen hatte, verwandelte es sich in eine Karte.
„Hier ist eine faltbare Katze des NaNo-Landes, damit ihr euch nicht verirrt. Es kann sein, dass ihr in sehr abgelegene Gegenden kommt.“
„Entschuldigung“, unterbrach ich ihn. „Aber warum ist das eine Katze?“
„Falls ihr sie verliert kommt sie zu euch zurück natürlich!“, sagte er.
Natürlich. Wieso war ich nicht gleich darauf gekommen! Eine faltbare Katze also. Nun gut, wenn er meinte die würde hilfreich sein…
„Das nächste ist dieses hier.“
Mr. Ian Woon zog drei große, dünne Spinnen aus dem Beutel. Instinktiv wich ich einen Schritt zurück. Warum mussten es ausgerechnet Spinnen sein?
„Das sind Gedankenspinnen“, sagte Mr. Ian Woon, mein Unbehagen entweder nicht bemerkend oder ignorierend. „Wenn ihr euch eine Zeit lang voneinander entfernen müsst, könnt ihr über diese Spinnen miteinander – oder auch mit mir – kommunizieren. Eine von ihnen behalte nämlich ich. Diese Methode ist notwendig, weil es nicht in allen Regionen des NaNo-Landes Handyempfang gibt.“
Das wiederum leuchtete mir ein. Aber warum mussten es ausgerechnet Spinnen sein?!
„Ich habe zwei Zimmer für euch in der Drachenschenke reserviert. Ihr habt VIP-Vortritt für den gesunden Menschenversand. Von dort aus müsst ihr selbst einen Weg finden.“
Alle nickten. Nur mir wurde langsam mulmig. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen darauf zu bestehen mitzukommen. Immerhin kannte ich dieses seltsame Land noch gar nicht. Und jetzt hatte ich gleich vor es zu retten!
„Wenn es keine Fragen mehr gibt…“
Ich hätte da noch eine ganze Menge. Was war die Drachenschenke? Wie genau funktionierte so eine Spinne? Was zum Teufel war ein gesunder Menschenversand? Und, ganz wichtig, wo sollten wir bloß anfangen nach der Lösung des Problems zu suchen?
„Dann wünsche ich euch alles Gute! Setzt Hummel und Erde in Bewegung, um NaNoWriMo zu retten!“
Okay, da war dann schon die nächste Frage. Das würde nie im Leben gut gehen.

6 Kommentare:

  1. Au ja, dann gehts ja jetzt endlich auf große Fahrt! =)
    Tut mir Leid, dass ich immer nur so wenig schreibe, aber ich will mich nicht ständig wiederholen. Dass der ganze Roman bisher echt super und auch witzig ohne Ende ist, ist dir ja wohl hoffentlich klar! :D

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    1. Kein Thema. Ich freue mich, dass ich dann immer ganz viele Kommentare finde wenn du dich auf den neusten Stand gebracht hast.
      Manchmal ist mir das nicht klar. NaNo-Krankheit, du weißt schon. Alles was man geschrieben hat erscheint einem plötzlich total bescheuert. Da helfen solche Kommentare wie deiner schon, um mich am Ball zu halten (vor allem, weil ich bisher noch nie etwas einer so großen Masse von Menschen zugänglich gemacht habe wie hier. Und dann ist es noch so schnell geschrieben...).

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  2. Ich kann Betty nur zustimmen... das ist grandios. Lustig wie interessant geschrieben ^^ Und gerade für einen NaNoisten unglaublich unterhaltsam <.< Zu Lachen hat man hier immer was XD

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    1. Danke. :)
      Ich hoffe mal in 30 Kapiteln findest du es immer noch gut. Das wäre natürlich das Beste. ^^

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    2. Ich hab mir jetzt vorgenommen jeden Tag zwei Kapitel zu lesen damit ich genau dann am Ende bin wenn du das letzte Kapitel hochlädst ^^ Und bisher muss ich mich zurückhalten weiterzulesen weil ich es so spannend finde XD Ich lass mich überraschen <.<

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  3. Bekannte Namen aus dem Forum, die hier mit reingeschrieben wurden! :D *begeistert ist*
    Und ein paar besonders schöne Fehler hast du da eingebaut mit dem Gemeindehau, mit dem treten der Ratsmitglieder und mit der faltbaren Katze :D. Göttlich :D

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