Schnell
liefen sie durch den verlassenen Gang auf den türlosen Türrahmen zu, um rasch
hineinzuschlüpfen. Marga verschwand
durch die Öffnung und verschwendete keine Sekunde damit sich nach den anderen
umzusehen und somit kostbare Sekunden zu verschwenden. Auch das hier war
genial eingerichtet. Wer würde auch vermuten, dass sich der Geheimgang
ausgerechnet in dem Gang befand, der nicht einmal eine Tür besaß?
Der
Wachmann in seinem mottenzerfressenen Mantel drückte sich dicht an die Wand.
Seine Hand war um einen Säbel geschlossen, den sie im Vorbeigehen aus einer
verlassenen Waffenkammer hatten mitgehen lassen. Des Weiteren hatte Phoenix
Margas und ihren Rucksack auf dem Rücken und sie hatten in der Burgküche alles
mitgehen lassen was nicht niet- und nagelfest gewesen war, auch wenn einiges
davon nicht gerade essbar aussah.
„Los,
weiter“, ermunterte Marga ihn. „Die Geheimtür ist noch ein ganzes Stück weiter
hinten.“
Entschlossen
ging sie weiter. Die Hand, die es sich wieder in ihrer Brusttasche bequem
gemacht hatte, hielt den kleinen Schlüssel fester.
Der
Gang kam ihnen ewig vor. Immer wenn ein Gang rechts abzweigte nahm Marga ihn,
während die anderen ihr mit verwirrtem Gesichtsausdruck folgten. Das Ganze
hatten sie schon mindestens zehnmal gemacht, als sich der Wachmann zu Wort
meldete.
„Waren
wir nicht eben schon einmal in diesem Gang?“, fragte er. „Der Boden, die
Anordnung der Fackeln, ja sogar die Wände kommen mir bekannt vor!“
„Natürlich
kommen sie dir bekannt vor. Wir sind im Kreis gelaufen“, erklärte Marga. „Das
ist auch ganz richtig so. Wenn es einfach wäre den Raum zu finden, wäre er
schon längst entdeckt worden. Man muss etwas anders denken als gewöhnlich wenn
man hier weiterkommen will.“ Deshalb war sie die perfekte Person für diese
Aufgabe. „Wir sind da.“
Sie
hielten vor einer großen, hölzernen Tür, die sich von der Farbe her kaum von
den Wänden unterschied und so von den Wänden kaum zu unterscheiden war und so
beinahe mit diesen verschmolz.
„Die
ist aber gut getarnt…“ bemerkte Phoenix.
Marga
nahm die Hand aus der Tasche und setzte sie in eine Nische in der Wand. Das
Händchen ließ die Gelenke seiner Finger knacken und steckte den Schlüssel in
ein für den Rest der Gruppe unsichtbares Schlüsselloch. Marga hörte wie der
Schlüssel in der Wand gedreht wurde. Dann kroch ihre Hand wieder aus der Nische
und ließ sich artig von Marga in die Tasche der Robbe zurücksetzen.
Vor
ihnen war die Wand zur Seite geglitten und hatte eine Treppe entblößt, die in
die Tiefe zu führen schien. Es war stockfinster dort unten, düster, dunkel und
unheilvoll, denn der Keller schien das Licht der Fackeln, das von hier nach
unten schien, zu absorbieren und in sich aufzunehmen und zu verschlingen bis
nichts mehr davon übrig blieb und im Keller eine lichtlose, undurchdringliche
Schwärze herrschte.
„…
hat noch jemand von euch das Gefühl, dass es dort unten wirklich dunkel ist…?“,
fragte der Wachmann.
„Es
ist nur dunkel solange man sich davor fürchtet“, sagte Marga fest.
Mit
ihrer linken Hand schraubte sie eine der Fackeln gegenüber der Tür aus ihrer
Halterung und ging voran. Die Schritte hinter ihr und die tanzenden Lichter von
zwei weiteren Fackeln zeigten ihr, dass die anderen beiden ihrem Beispiel
gefolgt waren. Hinter ihnen schob sich die Tür wieder vor die Öffnung. Weiter
und weiter führte die Treppe in die Tiefe. Marga hatte irgendwann aufgehört zu
zählen wie viele Stufen und Windungen sie bereits hinter sich hatten. Sie war
nur erleichtert als die Treppen endlich ein Ende fanden.
Auf
der anderen Seite des Ganges befanden sich die Türen eines Auzugs. Die Türen
waren aus dunklem Holz, das mit goldenen Verzierungen überzogen war. Diese
waren jedoch vom Alter und dem Staub hier unten fast schwarz geworden. Marga
streckte die Hand nach dem Knopf aus, der den Auzug rufen würde, doch der
Wachmann hielt sie zurück.
„Lassen
Sie mich das machen. Immerhin würde ich ohne Sie noch immer in einem Schrank
hocken. So gruselig es hier unten auch sein mag, dieser Geheimgang ist unsere
beste Chance aus der Burg zu entkommen.“
Er
drückte auf den Knopf. Ein durchdringendes Pling!
ertönte und ein Rumpeln kündigte an, dass sich der Auzug in Bewegung
gesetzt hatte. Gleichzeitig schrie der Mann auf und taumelte zurück. Seine
Fackel ließ er fallen und Marga sprang sofort einen Schritt zurück, um der
Flamme auszuweichen. Sein Körper schien sich zu grotesken Formen zu verzerren.
Durch die Fackel auf dem Boden tat es ihm sein Schatten an der Wand gleich.
Beine und Arme verformten sich bis der Mann sich nicht mehr rührte, sondern nur
keuchend auf dem Boden lag.
Einen
Moment lang geschah nichts. Dann stemmte er sich mühsam in den Vielfüßlerstand.
Er hatte nun unweigerlich Ähnlichkeit zu Margas abgetrennter Hand. Sein Kopf
war unnatürlich verdreht und als er versuchte zu laufen bewegten sich seine
Gliedmaßen ähnlich wie die Beine einer Spinne. Der zerfledderte Mantel
flatterte bei jedem Schritt und bei jedem Zweiten wurde die Unterhose entblößt,
die der Wachmann als einziges Kleidungsstück außer dem Mantel immer noch trug.
„Gut,
dass Sie den Knopf nicht angefasst haben“, stellte der Mann fest. Traurig sah
er auf seine krummen Beine.
„Das
bekommen wir schon wieder hin“, versuchte Marga ihn zu trösten. „Sobald wir
hier herausgekommen sind, finden wir jemanden der die Flüche aufheben kann. Wer
weiß, vielleicht ist es noch ganz nützlich so herumzulaufen.“
Der
Wachmann sah sie zweifelnd an.
„Denken
Sie an meine Hand“, erinnerte Marga ihn. „Wenn ich nicht von einem Fluch
getroffen worden wäre, wären wir gar nicht hier.“
Er
sah nicht besonders überzeugt aus.
„Wie
heißen Sie eigentlich?“, fragte Marga. „Wenn wir zusammen in einen Horrorauzug
steigen, der seinem Namen vermutlich alle Ehre machen wird, sollten wir
zumindest den Ihren ebenfalls wissen.“
Diese
Frage war so absurd, so banal normal, dass Marga fast nicht darauf gekommen
war. Allerdings dachte sie, dass man in der Lage sein sollte einander beim
Namen nennen wenn man sich zusammen in einen Geheimraum wagte.
„André“,
sagte der Wachmann. „Ich würde sagen nett Sie kennenzulernen, aber die
Situation lässt das nicht unbedingt zu.“
Dennoch
hielt er ihr eine verdrehte Hand hin, die Marga mit ihrer verbliebenen
schüttelte.
„Schön
Sie kennenzulernen.“
Damit
stieg sie in den Auzug und sah die anderen erwartungsvoll an. Diese standen
zögernd im Gang. Vielleicht lag es daran, dass es im Auzug keine Knöpfe gab,
sondern verschrumpelte und offensichtlich echte, menschliche Köpfe an der Wand
angebracht waren. Insgesamt gab es drei Sitze sowie eine Menge Köpfe und Hebel.
Außerdem war der Auzug beleuchtet, sodass sie ihre Fackeln löschen konnten. André
fasste als erster Mut. Außerdem verdrehte er sich, um an den Kopf für das die
unterste Etage zu kommen. Phoenix schloss sich ihnen an.
„Fertig?“,
fragte der Wachmann.
„Nicht
wirklich. Aber besser runter als zurück zu dem verrückten Nagetier, nicht
wahr?“, seufzte Phoenix.
„Ich
hätte es nicht besser sagen können.“
André
zog einen Kopf an den schwarzen Haaren, woraufhin dieser sich senkte. Die Türen
des Auzugs schlossen sich, das Rumpeln setzte erneut ein und schon bewegte sich
das Gefährt weiter in die Tiefe. Für einen Moment schien alles in Ordnung zu
sein. Dann jedoch gab es einen Ruck, der alle im Auzug übereinander fallen ließ
und das Gefährt raste in die Tiefe.
Marga
fühlte sich als würde sie unendlich lange fallen. Ihr Magen schlingerte wie ein
unerfahrener Eisläufer in der Kurve und sie schloss die Augen in der Hoffnung,
dass es helfen würde den Schwindel zu vertreiben. Das tat es nicht.
„Drück
den Notkopf! Jetzt!“, schrie Phoenix.
André
schaffte es irgendwie sich so zu verrenken, dass er an einem Kopf mit
feuerroten Haaren ziehen konnte, den Marga ebenfalls als Notkopf eingestuft
hätte. Es gab ein langgezogenes Quietschen, das sich anhörte wie Fingernägel
auf einer Tafel, dann kam der Auzug langsam zum Stehen.
Alle
rappelten sich auf und klopften sich den Staub von den Robben. Der Wachmann
tätschelte der älteren Dame neben sich beruhigend die Hand, die ängstlich und
zitternd auf dem Boden hockte und Marga beim Sturz aus der Robbentasche
gefallen war. „Na, na, Hand. Das wird schon wieder. Obwohl der Auzug seinem
Namen alle Ehre macht.“
Das
Licht im Auzug flackerte und gab dann den Geist auf. Sie sah sich in der
Dunkelheit um, ob sie etwas im Dunkeln sah, aber um sie herum herrschte nur
Dunkelheit. Zuerst wünschte Marga sich sie hätten ihre Fackeln angelassen. Dann
erinnerte sie sich daran, dass sie vermutlich nun am Boden gelegen hätten und
davon ausgegangen wären, dass sie mit den Robben darauffielen. Da war ihr ein
dunkler Auzug lieber als Brandlöcher in der Robbe.
Hinter
ihr hatte Phoenix die Initiative ergriffen und ihre Fackeln wieder zum Leuchten
gebracht. Im Licht der Flammen sahen die Köpfe noch gruseliger aus als vorher,
da sich tiefe Schatten in die Falten und Furchen ihrer Gesichter gruben.
„Ich
müsste es schaffen die Tür aufzubekommen“, meinte André.
Er
schaffte es seine Finger in den Spalt zwischen den Auzugtüren zu bekommen und
sie mit Hilfe seiner deformierten Arme aufzustemmen. Sie waren tatsächlich in
der Nähe eines Stockwerks gelandet, denn nur der obere Teil der Türöffnung war
von einer Wand verdeckt. Durch den unteren Teil müssten sie sich zwängen
können. Allerdings schien es etwa zwei Meter nach unten zu gehen.
André
schob zuerst seinen Säbel durch die Öffnung, sodass dieser mit einem
metallischen Scheppern auf dem Boden darunter landete. Dann hievte er sich
selbst aus dem Auzug, um Marga und Phoenix aufzufangen als sie ebenfalls das
gefährliche Transportmittel verließen. Ein Blick auf die Stockwerksanzeige ließ
sie erkennen wie knapp sie dem Tod entronnen waren.
„Wir
befinden uns im untersten Stockwerk“, bemerkte Marga. „Wie gut, dass der Auzug
rechtzeitig stehen geblieben ist. Ach, wie spät ist es eigentlich?“
„Es
war früher Nachmittag als wir losgegangen sind“, meinte André. „Mittlerweile
müsste es später Abend sein.“
„Danke.“
„Igitt!“,
wurde Marga unterbrochen.
Phoenix
hatte die Fackel weiter in den Gang gehalten, der tiefer in die Geheimkammer
führte. Eine eklig anmutende, dickflüssige Substanz klebte an den Wänden und
bildete eine winzige Passage, durch die sie sich würden zwängen müssen. Es
erinnerte sehr an die Warzen, die sie gestern hatten durchqueren müssen.
„Keine
Sorge.“
André
trat vor und säbelte Eiter, um den Weg freizumachen. Marga war dankbar dafür
ihm nur dabei zusehen zu müssen. Es war immer noch eklig sich nun durch die
gelbe Pfütze zu zwängen während man darauf bedacht war die Robben hochzuhalten,
um sie nicht mit Eiter zu beschmutzen.
„Das
erinnert mich sehr an den Weg zum Thronsaal“, meinte Marga. „Schaut mal, da
vorne gibt es sogar eine ähnliche Tür!“
Die Tür direkt vor ihnen
sah der Tür zum Thronsaal des Hamsters wirklich zum Verwechseln ähnlich. Nur
von der Farbe her war sie, zumindest im Fackellicht, dunkler. André begann sie
aufzuschieben und ein unheimliches Licht empfing sie.
Ach ja, der Auzug... und die Oma ist ja mal echt Klasse.
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