„Nimm
noch etwas Fürchtetee“, versuchte Phoenix sie zu überreden.
Schweigend
nahm Marga eine Tasse des Gebräus entgegen. Es hatte eine seltsame Konsistenz,
wie eine Mischung zwischen einer Flüssigkeit und einem Gas. Dunkle, fast
schwarze Schwaden waberten in der Tasse herum.
Der
Tee schmeckte nicht besonders gut, aber dafür half er ihr warm zu werden. Ihre
Kleidung war immer noch vollkommen durchnässt und die Nacht war kalt. Alle
Wechselsachen waren in Phoenix‘ Rucksack, der ebenfalls nass geworden war als
sie vor den eistürzenden Wassergängen geflohen waren.
„Schockolade?“,
fragte Phoenix hoffnungsvoll.
„Was?“
„Schockolade.
Eigentlich ganz lecker.“
Marga
schob sich ein Stück davon in den Mund. Es schmeckte wirklich wie normale
Schokolade. Alles, was sie gerade bei ihrem kleinen Picknick verzehrten, war
aus der Küche der Burg geklaut. Da war es kein Wunder wenn solche seltsamen
Sachen dabei herausgekommen waren.
„Ich
denke wir sollten uns bald in Bewegung setzen.“
Phoenix
hatte wieder ihren Fernstecher in der Hand, der die Reise durch den See
ebenfalls überlebt hatte. Sie hatten sich auf eine kurze Pause geeinigt, um
sich ein wenig von den Strapazen zu erholen. Mittlerweile waren sie seit etwa
36 Stunden auf den Beinen. Ihre Enkeltochter mochte so etwas ohne allzu große
Probleme wegstecken, aber mit mehr als 70 Jahren war Marga wirklich nicht für
so etwas ausgelegt.
Allerdings
waren seit geraumer Zeit Menschen um die Burg herum zu sehen, die die Gegend
mit Fackeln absuchten. Ihre Flucht war nicht unbemerkt geblieben und wenn sie
zu lange am Ufer des Sees sitzen blieben, würde man sie mit Sicherheit
entdecken. Zum Glück hatte sich bisher kein Suchtrupp in den Wörtersumpf
gewagt, aber wie lange das so bleiben würde war unklar.
„Was
ist das da drüben für ein Licht?“ Marga hatte einen Lichtschimmer entdeckt, der
jedoch nicht von einer Fackel zu stammen schien. „Da drüben.“
Sie
deutete auf eine Stelle etwas weiter in den Wörtersumpf hinein. Ein Licht
schien dort zu schweben, wie eine Straßenlaterne.
„Das
muss ein Mordlicht sein. Sowas wie ein Irrlicht, nur blutrünstiger“, erklärte
Phoenix. „Durch sie gelangen Leute auf Unwege und bleiben im Sumpf stecken.
Dann saugen ihnen die Mordlichter die Lebenskraft aus. Allerdings sind sie der
Grund weshalb wir dieses kleine Feuer machen konnten.“
Denen
sollten sie auf keinen Fall nachgehen. Das Feuer war allerdings praktisch, denn
wie sonst hätten sie ihren Fürchtetee warm bekommen sollen? Selbst wenn es vom
anderen Ufer aus gesehen worden war, hatte man es für ein Mordlicht gehalten. Allerdings
hatte Phoenix Recht und sie sollten sich jetzt auf den Weg machen. Marga
benutzte ihren Schirm, um sich auf die Beine zu stemmen. Es gab keinen Grund
dem Unausweichlichen weiter den Rücken zu kehren.
„Wir
sollten aufbrechen“, meinte sie nur.
„Moment…“
Phoenix starrte angestrengt in den See. „Da ist etwas…“
In
der Erwartung einen Tentakel zu sehen, der versuchen würde sie in den See zu
ziehen, drehte Marga sich um und hielt ihren Starb bereit. Stattdessen kroch
ihre vollkommen erschöpfte und klatschnasse Hand ans Ufer, einen unförmigen
Gegenstand hinter sich herziehend.
„Das
ist…“
„Meine
Hand! Und mein Hut!“, rief Marga begeistert.
Sie
nahm ihr Händchen hoch und kraulte es zwischen den Fingern. Das arme Ding war
vollkommen k.o. davon den durchtränkten Hut ans Ufer zu ziehen. Es war überall
mit Schlamm verschmiert und bevor Marga es in ihrer Robbentasche verstaute,
wusch sie es kurz im Wasser des Sees aus.
„Du
hast meinen Hut zurückgebracht! Braves Händchen“, lobte sie ihr verloren
geglaubtes Körperteil.
Der
Hut war in bemitleidenswertem Zustand. Die Krempe war schlammverschmiert, der
Samt nicht mehr so schön weich, die Feder vollkommen verklebt und die große
lila Seidenblume war kaum noch als solche zu erkennen. Auch ihn versuchte Marga
auszuwaschen, doch das Ergebnis war nicht befriedigend. Also packte sie ihn
notgedrungen in eine Vordertasche des Rucksacks.
Mit
ihren beiden verlorenen Freunden fühlte sie sich gleich viel besser. Der Sumpf
sah nicht mehr so düster aus und die Mordlichter konnten leuchten so viel sie
wollten, sie erschreckten Marga nicht.
„Wir
sollten wirklich gehen“, sagte Phoenix. „Am anderen Ufer verdunkeln sie gerade
die Schwatten.“
Tatsächlich
waren die Suchenden dabei seltsame Schattenwesen zu beschwören, die vermutlich
bei der Suche helfen sollten. Phoenix wrang ihre nasse Robbe über dem Feuer aus
und löschte es so. Dann brachte sie ihre Feder dazu sehr schwach zu leuchten.
Es war gerade genug Licht, um zu sehen wohin man lief und wenig genug, um nicht
aufzufallen.
Trotzdem versank Phoenix bald mit beiden Schultern
und einem Teil des Topfes, indem sie den Fürchtetee warm gemacht hatten, im
Moorwasser. Ein großes Schlammstück befand sich nun darin und weigerte sich
partout aus dem Topf zu verschwinden. Das war dann wohl das Ende der
gemütlichen Abende mit Fürchtetee.
Sie kamen unendlich langsam voran, denn der
schlammpige Sumpf brachte sie an ihre Grenzen. Der Wald schien kaum näher zu
kommen, doch zu dem mussten sie es schaffen wenn sie eine Chance haben wollten
vor dem Morgengrauen aus dem Sumpf zu verschwinden. Hier gab es nicht viel
Deckung, sodass sie auf jeden Fall gesehen werden würden. Außerdem mussten sie
ihre Pferde erreichen, damit sie so schnell wie möglich die Horrorgegend
verlassen konnten.
Endlich
kamen die ersten Bäume näher. Teilweise war im Sumpf schon Buschwerk zu sehen
und es war nicht mehr ganz so tief. Allerdings war auch der erste Schimmer
Morgentot schon über dem Horizont zu sehen. Dieser Begriff schien hier
besonders angemessen, denn wenn sie es nicht bis zum Morgen in den Wald
schafften, waren sie so gut wie tot.
Sie
erreichten gerade den ersten Baum, als die ersten dicken Nebeltropfen fielen.
Sie waren weiß und wenn sie Margas Robbe berührten, verwandelten sie sich in
Nebelschwaden, die zu Boden glitten. Schon bald nahmen die Schwaden seltsame
Konturen an; sie formten sich zu Körperteilen, besonders zu Nabeln.
Sie
wateten durch die immer dichter werdende Nabelsuppe, während Marga versuchte
die Schwaden mit den Händen zur Seite zu wischen. Selbst ihr Starb half hier
wenig bis gar nicht. Der dichte Nbele, aus dem die Nabelsuppe bestand, hinderte
sie daran auf die andere Seite zu sehen, wo die rettenden Bäume auf sie
warteten.
„Es
hilft nichts“, rief Marga.
Vor
ihr war gerade noch Phoenix zu sehen, die sie nur am Licht ihrer Phoenixfeder
erkennen konnte.
„Wir
müssen stehen bleiben. Wir könnten in die komplett falsche Richtung laufen und
es nicht einmal mitbekommen!“
„Deshalb
bin ich auch schon längst stehen geblieben“, ertönte eine Stimme direkt hinter
ihr.
Marga
zuckte zusammen und drehte sich um. Hinter ihr kam Phoenix in Sicht, das Licht
der Feder auf ihrer Brust gerade sichtbar. Marga war auf ein Mordlicht
zugegangen ohne es zu bemerken. Dieses hüpfte gerade wütend auf und ab, nur
noch ein paar Meter von ihr entfernt und anscheinend wütend, dass ihm sein
Opfer in der letzten Sekunde entkommen war. Marga schauderte. Das war mehr als
knapp gewesen.
„Wir
sollten definitiv warten“, beschloss sie.
Das
Warten war schlimmer als das Waten. Nachdem sie sich noch eine ganze Weile in
der Kälte des Morgennebels den Bauch in die Beine gestanden hatten, begann der
Schlamm an ihren Füßen noch kälter zu werden und das Gefühl von Kopf bis Fuß
nass zu sein war unerträglich. Der einzige Hoffnungsschimmer war, dass sie
durch den Nbele die Sonne sehen konnten, die als runde, leuchtende Scheibe
immer höher stieg. Auch sie war hinter Dunstschwaden verborgen, sodass man sie
gefahrlos ansehen konnte, aber sobald sich diese lichteten, würden sie auf dem
Präsentierteller stehen.
Stundenlang
standen sie da, wagten sich nicht einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Irgendwann musste Marga sich gegen Phoenix lehnen, um nicht vor Erschöpfung
umzufallen. Hinsetzen konnten sie sich auch nicht, denn der Morast ging ihnen
immer noch bis über die Knie. Würden sie sitzen, stände ihnen das Wasser
buchstäblich bis zum Hals. Was sich in diesem Sumpf an Tieren herumtrieb war
auch ungewiss.
Eine
Weile beobachteten Marga und Phoenix nur die Wanderung der Sonne. Die
Nebenschwaden hatten sich unterdessen zerstreut, aber die Hauptschwaden waren
noch da. Nach einer weiteren halben Stunde hatte der Nabel sich jedoch
gelichtet. Die ersten Silhouetten der Bäume waren zu erkennen, nicht weit von
dem Ort wo sie stehen geblieben waren. Wären sie jedoch in die Richtung
gegangen, die sie gestern eingeschlagen hatten, wären sie wieder Richtung Burg
gegangen und müssten den gesamten Weg noch einmal zurücklegen.
Als
sie das erste Mal wieder festen Boden unter den Füßen spürte, hätte Marga vor
Erleichterung beinah geweint. Mit jedem Schritt wurde der Boden unnachgiebiger,
bis sie zwischen dunklen Tannen standen.
Das
Morgentot, das sie über der Burg sehen konnten, war wunderschön anzusehen, vor
allem von hier, weit weg. Lange hielten sie sich nicht mit der Aussicht auf. Nach
einer weiteren Stunde Marsch, bei der sie sich gegenseitig damit wachhalten
mussten den jeweils anderen alle fünf Minuten mit einem Tannenzweig zu
schlagen, erreichten sie gegen Mittag die versteckte Lichtung, auf der sie die
Pferde gelassen hatten.
Diese
waren tatsächlich noch an Ort und Stelle und niemand schien die Lichtung
betreten zu haben.
„Schau
mich an“, meinte Marga verzweifelt und klopfte ihre Robbe ab. „Ich habe kein
Bedürfnis mit einer schlammverschmierten Robbe herumzulaufen. Sie war so schön
weiß…“
Jetzt
aber war die Robbe schlammverkrustet und schien sich nicht besonders wohl in
ihrer Haut zu fühlen.
„Armes
Ding. Keine Sorge, ich werde dich säubern sobald ich Zeit und Wasser dazu
habe“. versprach Marga. „Aber jetzt brauche ich auf den Schreck erstmal einen
Schock.“
„Schock?“,
fragte Phoenix und gähnte ebenfalls.
„Schockolade
natürlich“, fuhr Marga fort.
Ihr
Mund verzog sich ohne ihr Zutun wieder zu einem Gähnen. Sie bekam gerade noch
ein Stück Schockolade herunter und trank einen Rest kalten Fürchtetee, den sie
sich in eine Falsche gefüllt hatte, die sie aus der Drachenschenke mitgenommen
hatten. Phoenix hatte eine Stelle mit weichem Moos gefunden und es sich dort
auf ihrer Robbe bequem gemacht. Marga gesellte sich dazu und war binnen weniger
Sekunden eingeschlafen.
Sie
schliefen mehr als zwölf Stunden lang und machen sich erst im Schutz der
nächsten Nacht wieder auf den Weg.
(Zitat) „Am anderen Ufer verdunkeln sie gerade die Schwatten.“
AntwortenLöschenDer dichte Nbele, aus dem die Nabelsuppe bestand, hinderte sie daran auf die andere Seite zu sehen, wo die rettenden Bäume auf sie warteten.
Ich nehme nicht an das dies Absicht war...
Das Händchen bringt den Hut <.< Genial ^^
Warten schlimmer als waten, herrlich XD
Und dieses Mordlicht ist ganz schön gruslig...
Doch, das muss so. Schwatten sind die seltsamen Schattenwesen. Und der Nbele ist eben das, aus was Nabelsuppe besteht. Wäre es Nebel, würde ich mir echt bei jedem nebligen Tag Gedanken machen... *schauder*
LöschenAch so... ja, das ist wohl wahr.
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