Sonntag, 4. Januar 2015

65. Kapitel



Am Morgen hatte die Wachmaschine beschlossen, klammheimlich das Bad und auch den Rest des Zimmers unter Wasser zu setzen damit wir aufstanden. Da wir alle in einem Zimmer übernachteten – das, zugegebenermaßen extrem groß war – wachte ich davon auf, dass Blue schwungvoll aus dem Bett stieg und dann laut über seine nassen Socken schimpfte.
„Hey, Maschine! Es gibt bessere Möglichkeiten uns zu wecken“, grummelte Blue und zog seine nassen Socken aus, um sie in einen ebenso nasse Ecke zu pfeffern.
Aus unerfindlichen Gründen hatte Blue außerdem heute seine Brille aufgesetzt, was sehr ungewohnt war, nachdem ich ihn immer nur mit Kontaktlinsen gesehen hatte. Als ich ihn darauf ansprach, meinte er nur, dass bei einem Laborbesuch wohl kaum die Gefahr bestand, dass sie kaputt gehen würde, während das bei unseren anderen Abenteuern fast ein Muss gewesen war. Ich konnte ihm nicht widersprechen.
Da es in unserem Zimmer nicht viel zu tun gab, überließen wir das Hochwasser dem Reinigungsteam und gingen zum Frühstück. Glücklicherweise hatten unsere Rucksäcke auf Stühlen gestanden. Nur Freundschaf war nass geworden und beschwerte sich laut mähend über den Zustand seiner Wolle.
Beim Frühstück machte ich mir einen Spaß daraus andere Gäste zu erschrecken, indem ich Fluffles in aller Ruhe mit Wortsalat fütterte.
„Das ist gemein“, zischte unsere Autorin.
„Ach, auch noch da“, erwiderte ich. „Ich dachte du hättest schon das Weite gesucht.“
„Glaub es oder nicht, ohne mich würde bei dieser Geschichte nichts laufen“, versuchte sie mich einzuschüchtern.
Ich schnaubte nur und sah belustigt zu wie ein älteres Ehepaar einen weiten Bogen um Fluffles machte. Auch Blue hatte sein Bunny nun hervorgeholt und folgte meinem schlechten Beispiel.
„Hier, nimm das.“
Er bot seinem Bunny etwas von dem Wortsalat an, den er gestern Abend mit mir zusammen fabriziert hatte. Zusammen zu schreiben machte gleich nochmal so viel Spaß wie alleine.
„Hat es noch keinen Namen?“, fragte ich. „Das wird aber langsam Zeit.“
„Ich bin nicht gut im Namengeben“, gab er zu. „Weder bei meinen Charaktere, noch bei Kapiteln, noch bei Titeln für Geschichten.“
Den Rest des Frühstücks vertrieben wir uns damit die Zeit nach Namen für das Drachenbunny zu suchen. Hannes begann irgendwann mitzumachen und auch meine Oma war mit Feuereifer bei der Sache.
„Den Charakteren Namen zu geben ist bei mir nie das Problem“, gab sie zu. „Die dazu zu bringen das zu tun was ich will ist die eigentliche Schwierigkeit. Es ist zwar ein Liebesroman, aber die beiden sind die unromantischsten Kreaturen, die ich je erlebt habe“, beschwerte sie sich.
So machten wir weiter bis Starlight uns abholte. Auch sie warf sofort einen misstrauischen Blick auf Fluffles und das immer noch namenlose Bunny, die sie gestern noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
„Sollen wir? Heute haben wir ein etwas anderes Gefährt“, erklärte sie uns.
Das musste sie genauer erläutern als wir auf der Straße ankamen und vor einem stinknormalen Auto standen. Das dachten wir zumindest bis Starlight folgenden Satz von sich gab.
„Man nennt es 'Automobil' und es fährt mit einem Meteor.“
„Hört sich definitiv besser an als mit einem Flugzeug zu fliegen“, meinte Blue und wurde sogar bei dem Gedanken daran blasser.
„In diese Schrottkiste steige ich auf keinen Fall“, protestierte ich hingegen.
Der rosttote Ford von Tilli und Trudi sah zwar auch so aus als müsste er bald an Altersschwäche sterben, aber immerhin war der von zwei Hexen gefahren worden. Das schien mir wie eine zusätzliche Absicherung.
„Warum? Es hat sogar einen Schweinwerfer!“ Starlight sah tatsächlich ein wenig beleidigt aus.
„Ich hoffe das war ein Scherz.“
Es war kein Scherz. Erst jetzt bemerkte ich, dass – ich vermutete als eine Art Scherz – ein kleines Katapult mit Plüschschweinen am Heck angebracht worden war.
"Es gibt auch rote Wahnwesten.“ Sie zog eine leuchtend rote Weste aus einer Tasche hinter der Tür und hielt sie hoch.
„Also ich glaube die können wir gebrauchen“, sagte meine Oma. „Jetzt steig schon ein, Mia.“
Widerwillig nahm ich im Auto Platz. Meine Oma hatte sich den Beifahrersitz gesichert und ich musste mich mit Blue und Freundschaf auf die Rückbank quetschen. Freundschaf schien froh zu sein nicht noch einmal im Kofferraum mitfahren zu müssen. Hannes allerdings wurde bei jeder Kurve gegen das Fenster gedrückt. Konnten Frösche blaue Flecken bekommen? Falls ja, würde er morgen mehr blau als grün sein.
„Starlight, denkst du nicht, dass es angebracht wäre etwas weniger… ruckartig zu fahren?“, fragte ich als ich mich schon wieder bei Hannes dafür entschuldigen musste ihn zwischen meiner Schulter und der Scheibe eingeklemmt zu haben.
"Nein. Wieso?", fragte Starlight zurück, trat die Bremsen durch und trat laut fluchend auf die Hupe, als ihnen ein funkelnder BMW die Vorfahrt nehmen wollte. In dieser alten Klapperkiste war die Hupe nicht am Lenkrad, sondern direkt neben dem Gaspedal installiert worden, weswegen man da nur drauftreten konnte. Das machte mir das Gefährt nicht gerade sympathischer. Was mich auch wünschen ließ, dass wir in dem funkelnden MBW sitzen würden war, dass plötzlich ein Auto hinter uns auftauchte, in dem ich einige Rauchninjas erkennen konnte.
„Wie konnten die uns hierher folgen?!“, kreischte ich.
Alle drehten sich um, wobei Starlight in den Seitenspiegel schauen musste, da Freundschaf die Sicht im Rückspiegel blockierte.
„Wer sind die?“, fragte sie alarmiert.
„Rauchninjas. Die verfolgen uns seit wir begonnen haben ein Mittel gegen die Plotbunnys zu suchen“, erklärte meine Oma ruhig, während sie sich am Griff über der Beifahrertür festhielt und ich erneut gegen Hannes geschleudert wurde.
„Rauchninjas?!“
Womit auch immer Starlight gerechnet hatte, das hier war es jedenfalls nicht. Sie war weder darauf eingestellt von Rauchninjas verfolgt zu werden, noch ihnen in einer groß angelegten Verfolgungsjagd zu entkommen. Dafür sprach allein schon die Wahl ihres Autos, denn die Klapperkiste schien im Gegensatz zum Auto der Rauchninjas kaum voran zu kommen.
„Festhalten!“, rief sie dennoch.
Es folgte eine scharfe Kurve, in deren Verlauf ich erst gegen Freundschaf und dann wieder gegen Hannes geschleudert wurde.
„Tschuldigung“, murmelte ich.
„Macht nichts“, presste Hannes hervor, rieb sich jedoch die Seite.
Daraufhin setzte ich ihn kurzerhand in meine Robbentasche. Dort würde er zwar gegen Freundschaf gedrückt werden wenn wir wieder eine Kurve fuhren, aber immerhin war das aus Wolle und nicht aus Glas. Das war übrigens noch ein Hinweis darauf wie alt das Auto war. Statt Gasfenstern hatte es tatsächlich noch echte Glasfenster.
„Gib Gas, gib Gas!“, schrie Blue, von dem ich wegen Freundschaf nur einen Schopf blauer Haare und ein Stücken schwarze Robbe erkennen konnte.
„Ich gebe schon Gas!“, fauchte Starlight.
Von der höflichen Fremdenführerin war nicht mehr viel übrig geblieben. Ihre blonden Haare hingen ihr in Strähnen ins Gesicht und sie hatte rote Hektikflecken am Hals und an den Händen bekommen, die das Lenkrad umklammerten. Ihre Knöchel waren jedoch weiß, so fest griff sie es.
Irgendetwas mussten wir tun können! Ich würde auf jeden Fall etwas versuchen, auch wenn es total bescheuert und lebensmüde war. Ich kurbelte das Fenster herunter und lehnte mich hinaus. Ein Fahrer, der mit seinem Auto auf der Gegenfahrbahn unterwegs war, starrte mich entgeistert an und fuhr beinah auf seinen Vordermann als der aus demselben Grund bremste.
Aus meiner Robbentasche, der in der Hannes nicht war, nahm ich das letzte bisschen Zielmilch und trank es. Dann fummelte ich den Bogen von meinem Rücken und legte den ersten Pfeil ein. Ich zielte und… Ein rosa Plüschschwein segelte durch die Luft und traf die Windschutzscheibe des Ninjaautos. Blue hatte auf der anderen Seite von Freundschaf eine ähnliche Idee gehabt. Er war in den Kofferraum geklettert und hatte von dort angefangen den Schweinwerfer zu bedienen. Durch die Scheibe sahen wir uns an, grinsten kurz und fuhren mit unserem Angriff fort.
Der fahrende Ninja hatte nun die Scheibenwischer seines Autos eingeschaltet, um das Schwein von seiner Motorhaube zu bekommen. Ich versuchte es erneut, zielte und schoss den ersten Pfeil. Der prallte von der Motorhaube ab, hinterließ aber eine ordentliche Delle im Bleck. Das machte der Fahrtwind, nahm ich an. Vor allem hatte der dazu geführt, dass ich nicht die Windschutzscheibe getroffen hatte, wie geplant.
Das nächste Plüschschwein flog auf unsere Verfolger zu und landete wieder auf der Windschutzscheibe. Als es vom Scheibenwischer getroffen wurde, verhakte es sich und wedelte nun bei jeder Bewegung des Scheibenwischers hin und her, hin und her, hin und her… Der Stoff und das Plastik quietschten auf der Scheibe, sodass es sich anhörte als würde das Schwein laut quieken.
Auf der Gegenspur ereignete sich im selben Moment eine Massenkarambolage, da wohl mehr als ein Autofahrer vom Geschehen hier abgelenkt gewesen war. Die Pilzizisten – oder waren es hier Polizisten? Ich würde bei Gelegenheit mal fragen – die den Unfallhergang rekonstruieren mussten, würden vermutlich bei mehr als einem der Verursacher einen Alkoholtest durchführen, um die Geschichte zu bestätigen.
Mit dem nächsten Pfeil zielte ich auf das rechte Vorderrad des Wagens und traf es tatsächlich. Allerdings wurde der Pfeil bei der nächsten Drehung nur durchgebrochen und nur die Spitze blieb im Reifen stecken. Wenn die noch länger damit fuhren, würden sie vielleicht einen Platten haben. Momentan brachte uns das allerdings eher weniger.
Blues nächstes Schwein ging daneben und traf stattdessen den Fahrer eines Autos direkt dahinter. Der war von dem fliegenden Kuscheltier so überrascht, dass er sein Auto erstmal gegen die Leitplanke steuerte. Das nächste Schwein traf wieder das Ninjaauto, doch hatte es da leider nicht den gewünschten Effekt. Mein nächster Pfeil traf dann das Schweinchen, das bereits am Scheibenwischer hing, sodass dem nun ein Pfeil aus dem rosa Hintern ragte. Erst der Pfeil danach traf die Windschutzscheibe, hinterließ aber nicht mehr als eine weiße Stelle auf dem Glas, wie bei einem Steinschlag.
„Na super!“, fauchte ich und packte meinen Bogen weg. „Was sollen wir deiner Meinung nach tun, Steph?“, sprach ich die Autorin das erste Mal mit ihrem Namen an.
„Was weiß ich? Ihr habt euch in diese Situation befördert, dann müsst ihr auch einen Weg finden damit fertig zu werden!“
„Wir?“ Ich war unglaublich wütend. Mal wieder. „Wenn du wirklich die Geschichte schreibst, dann hast du uns das eingebrockt!“
„Aber das wollte ich nicht!“, meinte sie und klang ein wenig weinerlich. „Hast du eine Idee wie bescheuert diese Szene ist? Eine Verfolgungsjagd, bei der mit rosa Plüschschweinen geschossen wird? Meinst du ehrlich ich würde sowas freiwillig schreiben?!“
Gutes Argument, aber überzeugt war ich immer noch nicht. „Dann lass sie über einen Stein fahren, der den Pfeil tiefer in den Reifen treibt, sodass sie liegen bleiben!“, schlug ich hilfsbereit vor. „Au!“
Unser Auto war über großen Stein gefahren, was dazu geführt hatte, dass mein Kopf unter die Decke des Wagens gestoßen war. Hannes würde nicht der einzige mit blauen Flecken sein. Auch die Ninjas hatten den Stein erwischt und die Autorin schien meinen Rat befolgt zu haben. Der rechte Reifen war platt und als Blue das nächste Schwein auf die Ninjas abfeuerte, verloren diese die Kontrolle über den Wagen und krachten in die Leitplanke, genau wie der andere Autofahrer vorher.
„Jaaaa! Danke!“, jubelte ich.
Nur damit mein Dank mir im Hals stecken blieb als wir ebenfalls begannen uns zu drehen und mit der Leitplanke kollidierten, keine hundert Meter vom Unfallort der Ninjas entfernt.
Alles, was wir mitgenommen hatten, flog durch die Gegend. Freundschaf wurde auf mich geschleudert, sodass ich mir nun doch Gedanken darüber machte ob Hannes dadurch erdrückt wurde. Blues blaue Haare sah ich aus dem Augenwinkel ebenfalls von einer Seite des Kofferraums zur anderen fliegen. Mehrere Schweinchen landeten auf der Straße und bildeten eine Spur dort wo wir entlanggefahren waren. Dann flog Freundschaf auf die andere Seite und da Blue dort nicht mehr saß und Widerstand bot, flog ich gleich hinterher. Wenigstens war der Aufprall weich. Vorne waren die Airbags aufgegangen und hatten meine Oma und Starlight verschluckt.
Wir waren mittlerweile zurück in einer Wohngegend und die Leitplanke war in einen Zaun übergegangen, in dem nun das Auto hing. Mein Kopf dröhnte und in meinen Ohren war ein seltsames Klingeln, das mich an einen Wecker erinnerte. Für eine Minute sah ich alles eher verschwommen als scharf, besonders nachdem ich mich aufgesetzt hatte, um aus dem Auto zu taumeln.
„Das hatte ich nicht gemeint!“, schrie ich die Autorin an. „Nur die Ninjas sollten einen Unfall haben, nicht wir gleich mit!“
„Tut mir leid, ich war so in der Szene drin…“, murmelte die Autorin entschuldigend.
Ich hörte ihr jedoch nicht mehr zu, sondern stolperte auf die andere Seite des Autos zu. Dazu musste ich über mehrere Einzelteile des Zauns klettern. Dessen Überbeleibsel, also besonders fette Teile, hingen noch an der Motorhaube und zogen schmale Narben in den Lack. Spätestens jetzt war die Schrottkiste hier Schrott. Es waren außerdem einige farbige Kunststoffsplitter zu finden, die zweifelsfrei vom Schweinwerfer des Autos stammten. Ich zog die Beifahrertür auf, um nach meiner Oma zu sehen. Sie saß vornüber gebeugt in ihrem Sitz.
„Ich schwöre dir“, keuchte ich, während ich nach dem Puls meiner Oma suchte. „Ich schwöre dir, wenn du sie hast sterben lassen…“
Beim letzten Teil des Satzes kamen mir die Tränen und wütend wischte ich sie mit meiner Robbe fort. Phoenix war schlimm genug gewesen. Wenn diese bescheuerte Autorin jetzt auch noch meine Oma getötet hatte, würde ich höchstpersönlich in die reale Welt kommen und ihr das Leben zur Hölle machen.

1 Kommentar:

  1. Zum Glück wissen nicht alle Charaktere das sie Autoren haben... das wäre ja sonst ein heilloses Durcheinander.

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